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Das Sichtbare im Unsichtbaren

Stadt Heidelberg zeigt Marisa Vola in der Reihe "Retrospektiven" im Kurpfälzischen Museum

Von Julia Behrens

"Visible - Invisible" - der Titel der aktuellen Ausstellung von Marisa Vola im Kurpfälzischen Museum könnte nicht passender sein. Denn die 1942 im italienischen Codevilla geborene Künstlerin spielt auf buchstäblich phänomenale Weise mit dem Sichtbaren im Unsichtbaren und umgekehrt.

Schon räumlich ist die Schau aus der Reihe "Retrospektiven", mit der die Stadt Heidelberg einmal pro Jahr eine bedeutende Persönlichkeit aus der Heidelberger Künstlerschaft ehrt, in die Gegenständlichkeit des Frühwerks und die Abstraktion des Hauptwerks unterteilt. Doch gerade an dem mehrere Jahrzehnte umfassenden Überblick zeigt sich sehr schön, wie alles zusammenhängt.

Gleich zu Anfang sind Arbeiten aus der Zeit zu sehen, in der Vola 18-jährig nach Heidelberg kommt, um Deutsch zu lernen. Bereits als junge Frau greift sie elementare Themen, wie die Gräuel in Auschwitz, auf. Etwas später folgt als radikale Selbstbefragung "Die Irre" (1970), deren rote Haare gemeinsam mit einem von Linien durchschnittenen Hintergrund einen wilden Tanz aufführen, während sich Teile des Gewands und das linke Ohr ihres lächelnden Gesichts zerfasern. Auch in den beeindruckenden Gesellschaftsportraits, die Vola vor und während ihrer Zeit an der Karlsruher Akademie der Bildenden Künste in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zeichnet, stehen das maskenhafte Grinsen der Figuren und die feinen blassen Farben im Widerspruch zu absurd-unheimlichen Geschehnissen. Dabei kommt die unterschwellige Bedrohung häufig durch die Form des Messers oder spitz zulaufender Tücher zum Ausdruck. Erst später sei ihr klar geworden, dass diese Szenerien im weiteren Sinn mit ihrer eigenen Geschichte zu tun gehabt hätten, erklärt Vola im Gespräch.

Offensichtlich führt sie das Unbewusste, Unsichtbare in ihrer Kunst dann im Laufe ihrer Karriere immer weiter zum Ungegenständlichen, wobei sich Teile des Vokabulars - wie das Messer, das symbolisch verletzt, trennt oder zerstört - in Keile oder Linien verwandeln.

Glatt durchschnitten wirken auch die unzähligen winzigen Körperfragmente, die die Künstlerin Anfang der 80er Jahre auf faszinierende Weise zu ihren ersten abstrakten Kompositionen zusammensetzt. Daraus entwickeln sich kleine Kringel- und schließlich zarte horizontal angeordnete Liniengefüge von poetischer Schönheit.

Mittlerweile hat sie überregional Erfolg, bleibt aber mit zahlreichen Ausstellungen im Rhein-Neckar-Raum vertreten. In den großen, meist mit Buntstift gefertigten Arbeiten verschränkt sie nicht nur unterschiedliche Töne und Formen, indem sie mit dem Lineal gezogene Farbstriche gegen und ineinander laufen lässt. Sie visualisiert auch besondere Schwingungen, die mal ausgeglichen und mal kontrast- oder konfliktreich in den Raum ausstrahlen. Als Konzentrat alles voran Gegangenen verleiht Vola diesen eigentlich "konkret" zu nennenden Würfen eine tiefe, emotionale Dimension.

Bezeichnend ist, dass die Künstlerin schon von Kindheit an Probleme mit den Augen hat.

Nach einer OP im Jahr 2001 muss sie ihren akribischen, künstlerischen Ansatz aufgeben. Stattdessen stellt sie dreidimensionale und reliefartige Objekte her und verwendet kräftigere Farben, die ihr aus Indien vertraut sind. Heute hat sie sich aufs Schreiben verlegt, eine andere Passion, mit der man das Unsichtbare sichtbar machen kann.

Marisa Vola. Visible - Invisible. Retrospektive der Stadt Heidelberg. Bis 29. August 2021. Kurpfälzisches Museum, Hauptstraße 97, 69117 Heidelberg, Di-So 10-18 Uhr. www.museum-heidelberg.de