Bild ist Bild
Willibald-Kramm-Preis Stiftung präsentiert eindrucksvolle Ausstellung von Paul* M. Kästner in der Galerie Ostendorff
Dass in Coronazeiten vieles anders ist, hat nicht nur Nachteile. Denn es ergeben sich dadurch erstaunlich neue Möglichkeiten und Spielarten für die Kultur. Auch die Heidelberger Kunstszene wird durch die widrigen Umstände ordentlich durchgemischt.
Bestes Beispiel dafür ist die Einzelschau "Bild ist Bild" des Heidelberger Künstlers und Kunstpädagogen Paul* M. Kästner, die in der diesjährigen Ausstellungsreihe der Willibald-Kramm-Preis Stiftung nicht - wie üblich - in der Stadtbücherei gezeigt werden kann. Einen wesentlichen schöneren Rahmen findet sie stattdessen in der Galerie von Birthe Ostendorff, die sich spontan bereit erklärt hat, die 24 Gemälde des renommierten, mittlerweile 80-jährigen Malers in ihren lichten und hohen Wechselausstellungsräumen zu präsentieren.
Und dort ergeben sich für die teils farbigen, teils in Schwarz, Weiß und Grau gehaltenen Bilder ebenfalls ganz neue Möglichkeiten. Denn sie können hier nicht nur untereinander, sondern auch mit den Besuchern hervorragend kommunizieren. Und entfalten dabei eine elementare Kraft, der man sich nicht entziehen kann und will.
An der Tatsache, dass seine Gemälde ein ausgeprägtes Eigenleben besitzen, lässt Kästner, der ganz nebenbei auch promovierter Kunsthistoriker ist, keinen Zweifel: "Das Bild ist der formende Faktor in der Entstehung seiner selbst" - so der Maler. Und als solches tritt es zunächst in einen intensiven Dialog mit seinem Schöpfer. Aus diesen "Gesprächen" zwischen dem Künstler und seiner Kunst sind in den letzten Jahren bewegte Darstellungen hervorgegangen - mit einer faszinierenden Mischung aus malerischen und zeichnerischen Elementen, in denen ganze Figuren, Körperfragmente oder Köpfe auftauchen und sich trotz scheinbaren Chaos' zu einem bemerkenswert geschlossenen Gefüge zusammensetzen. Einzelne Themen treten immer wieder in Erscheinung, vor allem das Konterfei des "Paul*", wie sich Kästner bevorzugt nennt.
Besonders einprägsam ist auch die Serie von Portraits bereits verstorbener Verwandter, zu denen der Kontakt abriss, als der 1940 in Dresden geborene Künstler mit 18 Jahren die DDR verließ. Auf der Grundlage alter Fotos lässt er Eltern, Großeltern und andere Familienmitglieder wieder lebendig werden, diesmal in einem Prozess, bei dem nicht nur das jeweilige Bild, sondern die Vorfahren etwas zu sagen haben.
Kästner geht es in seiner Arbeit, bei der er für Stunden alles um sich herum vergisst, nicht darum, die Wirklichkeit im traditionellen Sinne wiederzugeben, sondern sie - im Gegensatz dazu - selbst zu erzeugen. Er sagt: "Das Bild verkörpert nicht, was es nicht selbst ist. Es beansprucht die eigenständige Qualität als Bild und steht ausschließlich für sich selbst." Der Titel der Ausstellung könnte daher nicht passender gewählt sein.
Clemens Bellut von "artes liberales" kommt in seiner klugen Einführungsrede bei der Vernissage dann auch auf den Archäologen Winckelmann zu sprechen, der im 18. Jahrhundert feststellte, dass Götterstatuen im Altertum nicht auf die jeweiligen Gottheiten verwiesen, sondern selbst als solche angesehen wurden.
Richtig gute Kunstwerke sind Urbilder, keine Abbilder. Und dazu zählen auch die Gemälde von Kästner.
Rhein-Neckar-Zeitung, Feuilleton (gekürzt), 12.08.2020