Burlesker Tanz und stille Tiefe
Mike Bourscheid und Linda Matalon beeindrucken mit Einzelausstellungen im Heidelberger Kunstverein
Lila Teppich, gelbe Markierungen, Tribüne und Spiegel: Zurzeit wirkt das Atrium des Kunstvereins wie eine Kreuzung aus Sporthalle und Ballettsaal. An den Wänden hängen seltsame Kostüme, die zusammen mit kunstvoll geschmiedeten Schuhen und allerlei rätselhaften Accessoires ein mehr als schräges Bild abgeben. Es ist die Arena des "Idealvereins", die der Luxemburger Künstler Mike Bourscheid (*1984) jetzt in seiner gleichnamigen Ausstellung in Heidelberg ausbreitet.
Bourscheid, der mit schlafwandlerischer Sicherheit Installation und Performance, Fotografie und Film zu verschränken weiß, hat das Projekt "Idealverein" 2017 für den Luxemburger Pavillon der Biennale in Venedig entwickelt und seitdem kontinuierlich ausgebaut. Es geht um die Idee, verschiedene Spieler, die in schwere Lederschürzen gewandet und durch das abenteuerliche Schuhwerk motorisch stark eingeschränkt sind, gegeneinander antreten zu lassen. Sie alle haben eine bestimmte Rolle, sind mit gekochten Eiern, Würsten, Lippenstiften, Flöten oder Zöpfen ausgestattet und bewegen sich - in einer ebenso ausgeklügelten wie absurden Choreographie - zwischen Kampf und Zuneigung, Eigen- und Gemeinsinn. Es wird geraucht, sich gegenseitig gefüttert oder geschminkt, man behindert und befähigt sich und die anderen, so dass das Ganze zu einem Spiegel der Gesellschaft gerät. Und der Rahmen für diesen "Idealverein" könnte nicht passender sein, weil der HDKV seines Zeichens ja selbst ein Verein ist.
Dort kann man sich das wunderbar burleske Theater - zum Beispiel auf der Tribüne sitzend - mithilfe einer Spielanleitung vorstellen oder es in einem Video, das eine Performance in Vancouver zeigt, nachvollziehen. Doch vorher schon wandelt man im Eingangsbereich durch eine Inszenierung mit Kostümen und Requisiten für die Performance "This is how I imagine love" (2015) oder begegnet Bourscheid, fotografisch festgehalten, in sonderbaren Verkleidungen auf der Empore. Der Luxemburger, der an der Universität der Künste in Berlin studierte und lange in Kanada lebte, überzeugt nicht nur durch seine überbordenden Ideen und seinen feinen Humor, er schafft auch inhaltliche Verschiebungen im Hinblick auf gesellschaftliche Rollenbilder und eröffnet durch das Mittel der Einschränkung neue Bewegungs- und Erkenntnisräume.
In eine ganz andere Welt gelangt man dann im Lichthof und im Studio des Kunstvereins. Hier präsentiert die Amerikanerin Linda Matalon (*1958) ihre eindringlichen Zeichnungen und Skulpturen. Obwohl sie bereits in vielen bedeutenden Sammlungen weltweit vertreten ist, stellt die jetzige Schau "Drawings and Sculpture" ihre erste institutionelle Einzelausstellung in Europa dar.
Kunstvereinsleiterin Ursula Schöndeling hatte Matalon vor drei Jahren auf der Art Cologne zum ersten Mal gesehen und war so fasziniert von den Arbeiten, dass sie sie unbedingt in Heidelberg zeigen wollte. Zu Recht, denn schon allein die großen, mit Wachs und Graphit gefertigten Zeichnungen haben etwas Elementares. Wie Matalon im Gespräch erklärt, entstehen ihre in Schwarz, Weiß und Erdtönen gehaltenen Werke in einem fortwährenden Prozess des Auftragens und teilweise wieder Auslöschens, des Zeichnens und wieder Ausradierens, wobei alles, was sie auf dem Papier fixiert, jede Art der Markierung, ihre Spuren hinterlässt. Häufig tauchen wie aus einem Nebel zarte Lineaturen oder Elemente auf, nur selten ist Gegenständliches auszumachen. Doch einige Formen erinnern an Gefäße und korrespondieren mit Matalons klug im Raum verteilten, schwarzen Skulpturen aus der Reihe "Free Radicals". Auch hier setzt die Künstlerin aus Brooklyn Wachs und Graphit ein, spielt mit der Anmutung der Materialien und öffnet oder schließt die meist kugelförmigen Objekte.
In den 80er-Jahren schuf sie Skulpturen für an Aids verstorbene Freunde aus der Queer-Szene. Lange Zeit arbeitete sie dann nicht mehr dreidimensional, erst vor fünf Jahren nahm sie ihre plastische Tätigkeit wieder auf. Jetzt besitzt ihre Kunst eine stille Tiefe, die schwer zu beschreiben ist. Es schwingt eine berührende Ausgewogenheit von Leichtigkeit und Wehmut durch diese Ausstellung und scheint auf einzigartige Weise die der menschlichen Existenz eingeschriebene Balance zwischen Energie und Fragilität zum Ausdruck zu bringen.
Rhein-Neckar-Zeitung, Feuilleton, 13.09.21