Farbe in jeder Form, 2021

14.03.2021

Behrens, Julia: Farbe in jeder Form. In: Boeckercontemporary (Hrsg.): 6 Jahre Boeckercontemporary. PainterPainter, Heidelberg 2021

Farbe in jeder Form

boeckercontemporary in Heidelberg - Kunstraum für internationale, zeitgenössische Positionen

Reine Wohngegend, normale Fassade, braunes Tor: Wenn man zum ersten Mal vor dem Haus in der Viktoriastraße 12 steht, ist man nicht wirklich sicher, ob man boeckercontemporary gefunden hat. Es hängt zwar ein Plakat am Tor, doch der Eingang wirkt vollkommen unscheinbar. Umso überraschender ist es, dass man gleich nach Betreten des Gebäudes in eine Zusammenschau von Arbeiten unterschiedlichster Couleur eintaucht.

Denn es ist immer und vor allem Farbe, der man in den Ausstellungen von boeckercontemporary begegnet. Sie zeigt sich in feinen Abstufungen auf monochromen Flächen, wird zum Gegenstand von teils harmonischen, teils kontrastreichen Farbfeldsetzungen oder offenbart sich in konkret-geometrischer Form. Minimalistisch ausgelotet geht sie immer wieder neue Wege und erstaunt durch ihre große Wandlungsfähigkeit auf Leinwänden, Holz- oder Papiergründen.

Den Kunstraum boeckercontemporary in Heidelberg-Rohrbach gibt es seit sechs Jahren. Er wurde von Arvid Boecker gegründet und ist zugleich White Cube, Ausstellungsforum, Ort einer Sammlung und kommunikative Plattform. Er befindet sich in einer ehemaligen Hofeinfahrt und ist in Heidelberg bislang nur Insidern bekannt. Dafür hat er einen festen Platz in der internationalen Kunstszene und wird mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt bespielt.

Arvid Boecker ist Maler - und mittlerweile auch Sammler und Kurator. Er wurde 1964 in Wuppertal geboren, studierte zunächst Kunstgeschichte an der Universität Trier und dann Malerei und Ausstellungswesen an der Hochschule für Bildende Künste Saar in Saarbrücken. Seit 1996 lebt er mit seiner Familie in Heidelberg und betreibt heute ein hohes, lichtes Atelier in Rohrbach - verortet in einer alten, umgebauten Kfz-Werkstatt im Garten des oben erwähnten Hauses, das sich Boecker zusammen mit seiner Frau im Jahr 2008 gekauft hat.

Schon seit einiger Zeit befasst sich der Künstler mit einer Serie von Bildern im Format von 50 x 40 cm, auf denen er in beeindruckendem Variantenreichtum und mit einem hohen Grad an Intensität jeweils zwei unterschiedlich farbige, hochrechteckige Flächen miteinander kontrastiert. Auch in Boeckers früheren Werken spielen - auf der formalen Basis geometrischer Formen - Fragen nach der materiellen und tonalen Qualität von Ölfarbe eine Rolle.

Dank der jahrelangen Weiterentwicklung seiner abstrakten Farbfeldmalerei und der konsequenten Beschränkung auf eine minimalistische Grundstruktur zählt Boeckers Kunst zum Bereich zeitgenössischer "Reductive Art". In diesem Segment unterhält er vielfältige Kontakte und steht über Facebook mit namhaften Künstlern von New York über London, Berlin und Kiew bis nach Sydney in Kontakt.

Als Teil dieser spezialisierten Szene nimmt er mit seinen Bildern nicht nur an internationalen Messen und Ausstellungen teil, sondern beginnt, die Werke seiner Kollegen auch zu sammeln. Viele Arbeiten kennt er nur aus dem Netz, wünscht sich aber die Begegnung mit dem Original und erhält die meisten Stücke durch den Tausch mit eigenen Leinwänden. Auf diese Weise ist bereits eine beachtliche Sammlung von über 100 meist kleinformatigen Werken zusammengekommen, die ihn nicht zuletzt inspirieren und bei der Befragung des eigenen Schaffens weiterbringen.

Parallel dazu intensiviert der Künstler den Austausch mit internationalen Vertretern seines Segments im Ausstellungsformat: 2015 eröffnet er den Kunstraum boeckercontemporary im Erdgeschoss seines Hauses. Dabei fasziniert ihn auch die Aussicht, andere Seiten des Kunstbetriebs kennenzulernen, das Ganze als eine Art "Reallabor" zu betrachten.

Allerdings unterscheidet sich sein Projektraum - wie die meisten Kunsträume dieser Art - grundlegend von kommerziellen Galerien, in denen es meist einen festen Stamm an Künstlern und Kunden gibt. Auch mit dem Konzept einer Produzentengalerie, in der Künstlergruppen ihre eigenen Werke ausstellen, hat boeckercontemporary wenig zu tun. Stattdessen werden immer wieder andere externe Kunstschaffende eingeladen, die Resonanz ist vor allem bei Vernissagen und im Netz groß, der Verkaufsaspekt unbedeutend.

Bei der Gründung kennzeichnet intuitiver Minimalismus - der Wesenszug von Boeckers eigener Kunst - dann nicht nur den Ort, sondern auch Organisation und Finanzen. Die weiß gestrichene, ehemalige Durchfahrt wirkt als Ausstellungsraum intendiert spröde und ist mit ihren 30 m² nicht besonders groß. Hinzu kommen zwei Zimmer, die zum Ausschank von Getränken und zur Unterbringung der jeweils teilnehmenden Künstler dienen. Es werden bewusst kleinere Arbeiten gezeigt, um den räumlichen Rahmen nicht zu sprengen und Transportkosten gering zu halten. Auch die Laufzeiten sind mit zwei bis vier Wochen übersichtlich.

Boecker weiß von Anfang an, dass er mit seinem Programm punkten muss, um international angesehene Vertreter aus dem Umfeld der "Reductive Art" für Ausstellungen zu gewinnen. Deshalb freut er sich, dass er seinen Kunstraum im Frühling 2015 mit einer Einzelschau von Jürgen Jansen eröffnen kann, den er gut kennt. Der renommierte Düsseldorfer Maler zeigt seine Bilder zeitgleich in Basel und New York. Entsprechend positiv fällt das Echo auf den Start von boeckercontemporary beim Publikum und in den sozialen Netzwerken aus. Die Zusagen von Paul Behnke aus New York oder Michael Bause aus Berlin, die 2016 mit ihren Arbeiten in der Viktoriastraße präsent sind, basieren ebenfalls auf persönlichen Kontakten des neuen Ausstellungsmachers.

Bestens verdrahtet ist Boecker auch mit anderen Kuratoren: Er bittet Sabine Tress aus Köln oder Kim Behm aus Mannheim, jeweils eine Zusammenstellung von Werken internationaler Kunstschaffender in seinem Projektraum zu realisieren. Darunter sind solche Maler, die er zu Beginn auf einer Wunschliste von 100 möglichen Kandidaten für Ausstellungen in seinem Kunstraum vermerkt hat und von denen er die meisten nur durchs Internet kennt. Besonders gut fügt sich auch die Übernahme der Schau Abstract Strategies aus der Kölner Galerie Martina Kaiser in die Anfangsphase. Mit der Präsentation von 30 Arbeiten von Künstlern aus New York, Michigan, Philadelphia, London, Wien, Berlin, Köln und Düsseldorf schnellen die Zahlen der Facebook-Abonnenten von boeckercontemporary im März 2016 in die Höhe.

Auch in Heidelberg wird man langsam aufmerksam auf den neuen Kunst-Hotspot in Rohrbach. Neben Freunden und Künstlern aus der Region melden sich diverse Gruppen zur Besichtigung an, die - von der Uni, der VHS, von Kirchen, Organisationen und Parteien kommend - zu einer Zahl von durchschnittlich etwa 150 Besuchern pro Ausstellung beitragen. Darüber hinaus wird Boecker von dem Verband Kunst Heidelberg eingeladen, dem Zusammenschluss führender Institutionen und Galerien in Sachen zeitgenössischer Kunst beizutreten.

Es ist jedoch vor allem der zunehmende Erfolg im Netz, der bewirkt, dass viele Künstler nicht nur positiv auf Anfragen reagieren, sondern sich auch initiativ für Ausstellungen bewerben. Diese Seite findet Boecker besonders interessant, hat er doch dadurch Einsicht in die unterschiedlichen Selbstvermarktungsstrategien seiner Kollegen.

Einen weiteren Bekanntheitsschub verschafft seinem Kunstraum eine Kooperation mit der Divisible Projects Art Gallery in Dayton, Ohio, von der Boecker die Schau Fiction (With only daylight between us) mit 200 Teilnehmern aus 16 Ländern im Oktober 2016 übernimmt. Mehrere tausend "Besuche" auf Facebook kennzeichnet da schon die virtuelle Wirkung und Reichweite des Projektraums. Dass der Heidelberger Künstler bei der Vorbereitung einer Ausstellung mit australischen Kunstschaffenden im Frühling 2017 feststellt, dass boeckercontemporary auch dort bereits bekannt ist, überrascht ihn dann aber doch.

Im Anschluss kann er seine neu gewonnenen kuratorischen Fähigkeiten im Rahmen des länderübergreifenden Projekts Blackbox einsetzen. Er wird vom Saarländischen Künstlerhaus beauftragt, Kollegen zu einer Wanderausstellung durch Deutschland, Frankreich, Belgien sowie Luxemburg einzuladen. Boecker startet einen "open call" auf Facebook mit überwältigender Resonanz und entscheidet sich für 250 Künstler aus 22 Ländern.

2018 präsentiert er unter dem Titel Absolute zum ersten Mal Teile seiner Kunstsammlung in Rohrbach, ergänzt durch ein eigenes Bild. Ein Jahr später führt er die ganze Kollektion dann im Rahmen seiner großen Einzelschau Free/Breathe im Museum St. Wendel vor. Jedes Mal zeichnen sich unterschiedliche Strömungen, aber auch Verwandtschaften und Bezüge zu seiner eigenen Arbeit ab. Die Gelegenheit zu einem solchen Vergleich ergibt sich erneut im Juli 2020 anlässlich von Absolute II.

Im Corona-Jahr lädt Boecker erstmals Heidelberger Künstler in seinen White Cube ein: Während des Lockdowns im Frühling initiiert er eine Online-Ausstellung mit erschwinglichen Werken, die die Besucher des digitalen Angebots an die Ateliers der jeweils vertretenen Maler oder Bildhauer weiterleitet. Künstlerförderung "at its best" hat sich da vielleicht die Stiftung Kunstfonds in Bonn gedacht, die jetzt die für April 2021 geplante PainterPainter-Schau von boeckercontemporary bezuschusst. Darin sind Werke von zeitgenössischen Malern zu sehen, die nicht zwingend berühmt sein müssen, derzeit aber mit ihren Arbeiten Einfluss auf viele Kollegen haben.

Ganz sicher Einfluss hat auch der von außen so unprätentiöse Kunstort in der Viktoriastraße - als Inspirationsgeber und Begegnungsforum für lokale und internationale Künstlerinnen und Künstler sowie als Bereicherung für das kulturelle Leben in Heidelberg.

Julia Behrens