Grundlagenforschung im Bereich Gegenwartskunst
Søren Grammel startet als neuer Leiter des Heidelberger Kunstvereins durch - Dynamische Ausstellungen mit starker Einbindung der Öffentlichkeit geplant
Die Sonne scheint hell in die große Halle des Heidelberger Kunstvereins. Es ist freundlich an diesem 1. März, an dem Søren Grammel seine Stelle als neuer Leiter des Hauses antritt. Gleich zu Beginn nimmt er sich die Zeit für ein ausführliches Pressegespräch, um sein Programm vorzustellen. Ein erstes und deutliches Zeichen dafür, wie wichtig dem renommierten Kurator der Dialog mit Heidelberg und die Öffnung des Hauses für die ganze Region sind.
Schnell wird klar, dass der im Herbst neu gewählte Vorstand des Kunstvereins einen Glücksgriff getan hat, denn Grammel, der 1971 in Großburgwedel bei Hannover geboren wurde, hat nicht nur eine beeindruckende Vita, sondern auch viele innovative Konzepte im Gepäck. Dazu zählt die dynamische Auseinandersetzung mit der "Gewächshaus"-Architektur des Kunstvereins, deren Transparenz und heterogene Form er schätzt. Für jede Ausstellung plant er spezielle Strukturen aus mobilen Elementen und Licht, um beim Publikum über neue räumliche Erfahrungen Denk- und Lernprozesse auszulösen.
Grammel möchte "Schwellen" abbauen, den Eintritt abschaffen und das Foyer während seiner Direktion in einen öffentlichen Raum verwandeln, indem er dort filigrane, rollbare Tribünen der Künstlerin Céline Condorelli installiert, die auch in der Halle des HDKV genutzt werden können - beispielsweise als Arena für Diskussionen, Seminare oder kunstpädagogische Aktionen. Es wird in jeder Schau mehrere diskursive, oft als Serien angelegte Formate des Austauschs geben, die durchaus interdisziplinär sein können und anschließend als Podcasts, Texte und Filme auf der Homepage und über soziale Netzwerke erlebbar sind.
Inhaltlich wird Grammel die konzeptionelle, schon von seinen Vorgängerinnen und Vorgängern eingeschlagene Linie fortführen, ihr aber eine individuelle Prägung geben. Schon aus den ersten Ausstellungen ab Mitte Juni werden sich wesentliche Grundzüge seiner Arbeit herauskristallisieren. Für die in der Gegenwartskunst häufig zentrale Intention, politische und gesellschaftliche Systeme zu untersuchen und kritisch zu hinterfragen, steht die documenta-Künstlerin Alice Creischer und ihre raumfüllende Installation "Das Etablissement der Tatsachen". Mit dieser Position nimmt Grammel Bezug auf die Wissenschaftsstadt Heidelberg und wählt zugleich eine Vertreterin der Prä-Internet-Ära. Als Gegenpol zeigt er eine große Videowand von Philipp Timischl, einem Künstler der 89+Generation, der die Digitalisierung und deren integrale Prägung unserer Lebenswelt verkörpert.
Insgesamt faszinieren Grammel die Relevanz und Freiheit, die der institutionelle Rahmen eines Kunstvereins bietet. Kunstvereine betreiben "Grundlagenforschung im Bereich Gegenwartskunst", so der deutsche Kurator. Sie seien ausgesprochen wichtig für die Kunstwelt, weil sie neue Positionen hervorbrächten oder Rückschauen auf bislang übersehene Werkgruppen vornähmen.
Grammel, dessen Ehefrau und 10jährige Tochter in Basel leben und zum Schuljahreswechsel nach Heidelberg ziehen, muss es wissen. Er ist so etwas wie ein Kunstvereinsprofi. Der Kurator studierte in den 1990er Jahren Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim und absolvierte parallel dazu am Goldsmith College in London seinen Master of Arts.
Nach einer Stelle als Kurator im Münchner Kunstverein (2002-2004) übernahm er die Leitung des Grazer (2005-2011) und des Kölnischen Kunstvereins (2012-2013). 2013 wurde Grammel Direktor des zum Kunstmuseum Basel gehörigen Museums für Gegenwartskunst und blieb sieben Jahre.
Immer wieder ergaben sich Synergieeffekte zwischen Forschung, Lehre und Praxis aus seiner Funktion als Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Kunstakademien und Kunsthochschulen in München, Kassel und Wien. Auch für seine Amtszeit in Heidelberg könnte sich Grammel eine Lehrtätigkeit vorstellen. Man darf gespannt sein.