"Ich hätte mir eine höhere Wertschätzung gewünscht"

04.11.2020

Interview mit Frieder Hepp vom Kurpfälzischen Museum zum Lockdown im November

Nicht nur Theater, Konzerthäuser und Kinos, sondern auch Museen und Ausstellungshäuser mussten am 2. November als sogenannte "Freizeiteinrichtungen" schließen.

Bundesweit ist die Enttäuschung bei den betroffenen Institutionen groß. Hatte man in den letzten Monaten doch alles dafür getan, um den Besuch mit Hygienekonzepten, Leitsystemen und Abstandsregeln so sicher wie möglich zu gestalten, und neue Formate entwickelt, um den Dialog mit dem Publikum weiterzuführen.

Darüber hinaus garantieren viele Häuser schon aufgrund ihrer Weitläufigkeit eine risikoarme Begegnung mit Kunst und Kultur. Im Gespräch schildert Frieder Hepp, der Leiter des Kurpfälzischen Museums in der Altstadt, zu dem auch das Mark Twain Center in der Südstadt und die Textilsammlung in Ziegelhausen gehören, welche Auswirkungen der zweite Lockdown auf seine Häuser hat.

Herr Hepp, hat die Anweisung zur vierwöchigen Schließung aller Museen und Ausstellungshäuser Sie in der letzten Woche überrascht?

Ja, nachdem von den Museen in den ersten Verlautbarungen nicht die Rede war, hatten wir gehofft, dass wir unsere Häuser weiterhin geöffnet halten dürfen. Denn die seit März praktizierten Hygiene- und Abstandsregelung, die Begrenzung der Besucherzahl und der konsequente Verzicht auf Eröffnungen und größere Veranstaltungen hatten sich unserer Meinung nach bewährt. Museen gehören zu den sichersten Orten überhaupt.

Ich möchte aber betonen, dass wir selbstverständlich die von Politik und Wissenschaft vorgegebenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie vollkommen mittragen.

Was bedeutet der erneute Lockdown für das Kurpfälzische Museum?

Ausgerechnet jetzt, da die Menschen wieder verstärkt den Weg in die Ausstellungen gefunden haben, müssen wir vier hochkarätige Sonderausstellungen zu Friedrich Hölderlin, Friedrich Dürrenmatt, Mark Twain und Masterworks der europäischen Quilt-Art schließen. Außerdem gehen wir nicht ins Homeoffice, denn der konservatorische und sicherheitstechnische Schutz der uns anvertrauten Kunstschätze bleibt ja unvermindert bestehen und auch die Restauratoren und Wissenschaftler arbeiten vor Ort an den Exponaten und Leihgaben für kommende Ausstellungen weiter. Durch den Lockdown wird alles nur komplizierter.

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat die Schließung?

Wir haben natürlich - wie alle Einrichtungen - durch den Ausfall von Veranstaltungen, den Wegfall des Museumsshops und aufgrund fehlender Eintrittsgelder wesentlich weniger Einnahmen bei gleichbleibenden, teilweise sogar gestiegener Kosten, nicht zuletzt für die Umsetzung des Schutzkonzeptes. Viel gravierender ist jedoch der gesellschaftliche und kulturelle Schaden, dessen erste Vorboten wir bereits zu spüren bekommen und dessen Ausmaß wir überhaupt noch nicht absehen können.

Was sagen Sie zur Bewertung von Museen als "Freizeiteinrichtungen"?

In einem Land, das eine höhere Museumsdichte und -vielfalt hat als der gesamte afrikanische Kontinent und in dem mehr Menschen Jahr für Jahr in Museen und Ausstellungen gehen als beispielsweise in Fußballstadien hätte ich mir schon eine höhere Wertschätzung der in diesen Häusern gesammelten Kulturschätze gewünscht. Die meisten Museen in Deutschland sind, wie auch das Kurpfälzische Museum oder der Heidelberger Kunstverein, im 19. Jahrhundert durch bürgerschaftliches Engagement entstanden. Sie werden seitdem maßgeblich von ihren Freundeskreisen und zahllosen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern getragen. Kultur ist nicht nur systemrelevant, sie ist ein Teil unserer Bildung und gibt dadurch unserem Dasein einen Sinn. Museen deshalb allein auf die Freizeit beschränken zu wollen, ist bedenklich.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Ich halte die von der Politik getroffenen Entscheidungen prinzipiell für den richtigen Weg, hätte mir aber bei der Ausarbeitung der Schutzmaßnahmen neben Wirtschaft und Sport eine stärkere Berücksichtigung weiterer sinnstiftender Einrichtungen - Kunst, Kultur, Kirche, Universitäten - gewünscht, um so einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens für die erforderlichen Schritte aus der Pandemie herzustellen.

Worauf können sich die Besucher im Dezember freuen, wenn das Kurpfälzische Museum wieder öffnet?

Zunächst freuen wir uns auf eine Fortsetzung der jetzt unterbrochenen Vortragsreihe des Germanistischen Seminars zu Friedrich Hölderlin, ein spannendes Finale der Hölderlin-Ausstellung in der ersten Dezemberwoche und viele Führungen zu Friedrich Dürrenmatt. Wenn es dann auch noch gelingt, bei gesunkener Infektionsrate die beliebten Bachstunden mit Prof. Arnold Werner-Jensen und das Kunstkooperationsprojekt "Ins Freie!" mit dem Hölderlin-Gymnasium zu realisieren, wäre viel gewonnen.

Rhein-Neckar-Zeitung, Feuilleton, 04.11.2020