"Ich will dem Geheimnis der Malerei auf die Spur kommen"

13.07.2022

Gespräch mit Arvid Boecker im Vorfeld seiner "Retrospektive" im Kurpfälzischen Museum

Arvid Boecker ist einer der erfolgreichsten Künstler Heidelbergs. Die Liste seiner Stipendien und Einzelschauen, seiner Ausstellungs- und Messebeteiligungen ist lang und reicht von New York über Bangkok bis nach Sydney. Nun widmet ihm die Stadt Heidelberg ab Mitte Juli eine große Einzelausstellung in der Reihe Retrospektiven im Kurpfälzischen Museum.

Boecker wird 1964 in Wuppertal geboren und studiert an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken. 1996 zieht er mit seiner Frau nach Heidelberg, wo das Paar 2008 ein Haus in Rohrbach erwirbt. Das bietet nicht nur der vierköpfigen Familie, sondern auch Boeckers künstlerischer Arbeit in Form einer umgebauten LKW-Werkstatt Platz. In der ehemaligen Durchfahrt des Hauses etabliert er zudem den "Kunstraum Heidelberg", den er regelmäßig mit regionalen und internationalen Ausstellungen bespielt.

Sie sind 57 Jahre alt und damit der jüngste Künstler, der jemals bei einer Retrospektive der Stadt Heidelberg gezeigt wurde. Ist es schon Zeit für einen Rückblick?

Ich habe früh angefangen, mich mit Malerei zu beschäftigen und kann deshalb auf ein großes Werk zurückblicken. Seit meinem Studium sind über 2000 Bilder entstanden. Doch die Schau im Kurpfälzischen Museum ist keine Retrospektive im engeren Sinne, weil ich nur Arbeiten aus den letzten 5 Jahren zeige. Ich habe gefühlt noch 40 Jahre vor mir, bin also gerade bei der Hälfte (lacht). Deshalb möchte ich noch keinen Rückblick vornehmen. Ich freue mich einfach auf eine große Ausstellung in meiner Heimatstadt.

Ältere Arbeiten Ihrer Farbfeldmalerei würden jedoch mehr von Ihrer formalen Bandbreite aufzeigen. Haben Sie keine Bedenken, dass die gegenstandslosen, in zwei gleich große Flächen unterteilten Leinwände der letzten Jahre etwas redundant wirken könnten?

Zunächst einmal habe ich fast keine älteren Arbeiten mehr, daher müsste ich auf Leihgaben zurückgreifen, was sehr aufwendig wäre. Stattdessen möchte ich lieber zeigen, woran ich gerade arbeite. Ich denke, durch die Konzentration auf einen überschaubaren Zeitraum wird in der Ausstellung klarer, worum es mir in der Malerei geht.

Was fasziniert Sie an dieser Art der Malerei?

Ich glaube, es geht mir seit 40 Jahren darum, dem Geheimnis der Malerei auf die Spur zu kommen. Ich habe in meinem Leben kaum etwas anderes gemacht und erlebe das Malen immer noch als aufregend. 2014 habe ich eine Reihe Bilder im Format 50x40 cm begonnen, es ging mir darum, einige grundsätzliche Fragestellungen schnell und vergleichbar für mich zu klären. Das ist zu einer persönlichen Malereiforschung geworden, in der bis 2021 über 400 Arbeiten entstanden sind.

Ihre abstrakten Bilder entfalten gerade in der Variation, also im Zusammenspiel mehrerer Arbeiten ihre Wirkung. Auf was sollte man achten, wenn man Ihre Ausstellung besucht?

In der Ausstellung lesen sich die Bilder ganz selbstverständlich zusammenhängend, auch wenn sie nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge entstanden sind. Wenn ich eine Ausstellung aufbaue, ordne ich die Bilder intuitiv an und versuche Zugehörigkeiten zu finden. Da ich mir beim Malen immer wieder auch ältere Arbeiten ansehe, können sich optische Verwandtschaften ergeben, selbst wenn zwischen dem Ursprung der Werke eine zeitliche Distanz liegt.

Seit 2000 nummeriere ich meine Bilder fortlaufend, um festzuhalten, in welcher Reihenfolge sie entstanden sind. Jedes Bild ist die Fortsetzung des Vorherigen. Wenn ich ein Bild beende, nehme ich mir eine neue Leinwand und male weiter. Und so kommt es mir manchmal vor, als ob ich seit 40 Jahren an dem gleichen Bild male.

Was hat es mit dem Titel "Better late than ugly" auf sich?

Meine Ausstellungstitel haben fast immer mit Zeit zu tun, weil die eine große Rolle spielt in meinem Werk. Übersetzt heißt es ja so viel wie "Lieber spät als hässlich". Das fand ich witzig und es trifft auch auf meine Arbeit zu. Ein Bild ist erst fertig, wenn es soweit ist, egal wie lange es dauert. Es ist mir wichtig, beim Malen nicht unter Druck zu geraten. Das ist logistisch manchmal eine Herausforderung, wenn ich - wie jetzt - mehrere Ausstellungen parallel vorbereite.

Ihren bislang größten Auftritt in Heidelberg hatten Sie 2005 im Heidelberger Kunstverein mit der Einzelschau Milch & Honig. Auch von Galerien vor Ort werden Sie vertreten. Wo sind Sie in diesem Jahr noch in Heidelberg zu sehen?

Es gab in den letzten Jahren einige Ausstellungen in Heidelberg: in der Galerie Heller, in der Galerie p13, im Tankturm und im Betriebswerk, beim ArtOrt Festival und im +Punkt. Im Juli werden meine Bilder in der Galerie Grewenig und im Kunstraum Heidelberg zu sehen sein.

Sie sind sehr aktiv auf Social-Media-Kanälen, auf Facebook und Instagram. Welche Rolle spielt das digitale Netzwerken für Ihre Arbeit?

Es wird immer wichtiger. Mittlerweile geht die Hälfte aller Ausstellungsprojekte auf virtuelle Kontakte zurück. Über Instagram ist auch meine Londoner Galerie auf mich aufmerksam geworden. Durch die Galerie bin ich auf den 10 größten Kunst-Onlineplattformen wie artsy.net oder kooness.com vertreten. Seitdem haben internationale Verkäufe deutlich zugenommen.

Und wie vereinbart man konzentrierte, künstlerische Tätigkeit mit digitaler Präsenz?

Das muss ich bewusst ausbalancieren. Ich nehme mir Zeiten nur fürs Atelier, ohne Termine und Verabredungen, damit ich in Ruhe arbeiten kann. Das ist wichtig, denn Marketing und Organisation machen mittlerweile 80 Prozent meiner Zeit aus.

Feuilleton, RNZ vom 13.07.2022