Im Garten der Malerei
Daniel M Thurau aus Berlin – Künstlerporträt KUNST&material
Man hört es förmlich rascheln in den Bildern von Daniel M Thurau. Denn überall gibt es Pflanzen, die auf wundersame Weise über die Leinwand wachsen und damit Außen- und Innenräume in blühende Szenerien verwandeln. Selbstbewusst züngelt und wuchert in der Botanik, aber auch in der Fantasie wurzelnde Flora durch das Werk des Berliner Künstlers: In Gestalt von Bäumen und Palmen, die sich majestätisch im Mondlicht verneigen, von dunklen Büschen und schimmernden Blumen oder von leuchtenden Bodendeckern und Grashalmen. Denn die meisten der vegetabilen Gebilde auf Thuraus Gemälden befinden sich in der Phase der Dämmerung – der aufkommenden Nacht oder des erwachenden Tages – und erscheinen in diesem Zwischenzustand auf zauberische Art lebendig. Doch sie spielen in ihrer leicht surrealen, paradiesischen Anmutung nicht nur bildimmanent eine Rolle. Sie sind auch als Metapher für die Arbeitsweise des Malers von Bedeutung.
Bemerkenswert geheimnisvolle Gewächse gedeihen in der Darstellung Die Träumer von 2022 [2]. Während hinter einem, in blaues Licht getauchten Berg die Sonne aufgeht, lagern drei Gestalten in einem blühenden Garten in der unmittelbaren Nähe eines Grabsteins. Zwei scheinen friedlich zu schlafen, die dritte ist schon ängstlich präsent. Es herrscht eine seltsame Stimmung zwischen Träumen und Wachen, die sich in der Ambivalenz von Stille und Bewegung in der Landschaft widerspiegelt. Dabei werden riesige Blumen mit weißen Kelchen jenseits der Gruppe von hoch aufragenden Palmen und Bäumen unbekannter Herkunft umrahmt.
Mit fließenden Linien und einer Fülle von Türkis-, Grün- und Violett-Abstufungen, die in eine Komposition von unheilvoller Ruhe münden, schafft Thurau eine Situation, die zwar zeitlos ist, die aber im ikonografischen Rückgriff auf ein zentrales, biblisches Ereignis als die der schlafenden Jünger im Garten Gethsemane erkennbar wird.
Denn das Werk des 1972 in Sachsen-Anhalt geborenen Künstlers ist von einer für die zeitgenössische, figurative Kunst wirklich ungewöhnlichen, religiösen Thematik durchzogen.
Das großformatige Bild hängt an einer der weißen Wände in Daniel Thuraus Atelier, als wir uns dort zum Gespräch treffen. Der Raum ist in den sogenannten Uferhallen in Berlin-Wedding verortet, einem Backsteinkomplex aus dem späten 19. Jahrhundert. Seit das Areal 2006 von der BVG als Werkstatt-Gelände aufgegeben und verkauft wurde, bietet es etwa 150 Künstlerinnen und Künstlern in Ateliers, Theater-, Tanz- und Tonstudios einen improvisierten und bezahlbaren Platz zum Arbeiten, Ausstellen und manchmal auch zum Leben.
Doch der Kulturstandort, der der Berlin Art Week schon als Festivalzentrum diente, ist in Gefahr: 2017 übernahm eine Investorengruppe das Gelände von dem kunstaffinen Vorbesitzer und will nun die denkmalgeschützte Bausubstanz mit Luxuswohnungen überbauen. Die Zukunft der Mieter, die sich mittlerweile zu einem Verein zusammengeschlossen haben, um ihre Interessen zu vertreten, bleibt ungewiss. Auch für Thurau, der seit 2020 vor Ort ist und sich sein relativ offenes Arbeitsareal mit fünf weiteren Künstlern teilt.
An zwei Seiten des Ateliers stapeln sich hoch über den weißen, vor und zwischen den Säulen der Industriearchitektur eingezogenen Wänden filigrane gelbe Skulpturen des Künstlers Jan Muche auf der Empore. Dafür bespielt Thurau bei unserem Termin den eigentlichen Raum, wo in lockerer Hängung noch weitere aktuelle Werke in großem und mittlerem Format zu sehen sind.
Der Maler, der vorher mit weniger Platz auskommen musste, ist von der Höhe der Wände und den Proportionen des Ateliers angetan, weil er nicht nur leichter an größeren Leinwänden arbeiten, sondern auch einfacher zwischen den Formaten wechseln kann. Außerdem ist er in der Lage, die im Malprozess befindlichen Bilder aus der nötigen Distanz zu betrachten. Dabei unterzieht er die jeweilige Komposition einer intensiven und langwierigen Befragung.
Sie steht als "elementares Gestaltungsmittel" im Zentrum seines Schaffens. Das zeigt sich auch an dem gekonnten Bruch mit der Zentralperspektive in dem Gemälde Kirche im Wald von 2022 [3]. In einem wahren Sog und nur leicht aus der Spur geraten, führen die Fluchtlinien der Wege im Vordergrund auf das mittig stehende Gotteshaus zu, das in expressionistischer Manier in kräftigem Pink vibriert, den Halt verliert und aus dem Schema kippt. Die Tannen und Bäume zur Rechten bieten mit dem dunklen Türkis ihrer züngelnden Zweige ein bewegtes Gegengewicht. Überhaupt scheint hier alles zu leben, jeder Stein, jedes Blatt und nicht zuletzt auch das Kreuz auf der Laterne des Gebäudes.
Dass Daniel M Thurau viele seiner Darstellungen entweder assoziativ oder in direkter Zuschreibung mit einer religiösen Motivik versieht, hat eine tiefere Bewandtnis. Seine ohne Punkt bedachte Mittelinitiale M steht für Maria. Der Name gehörte seiner Großmutter, wie der Maler erzählt. Nach dem Krieg kam sie als vertriebene Sudetendeutsche nach Sachsen-Anhalt und wurde in der kleinen Barockstadt Köthen Mitglied einer für die Flüchtlinge gegründeten katholischen Gemeinde. Thurau besuchte in seiner Kindheit und Jugend genau diese Kirche und geriet in der atheistisch geprägten DDR nicht selten mit Mitschülern, Lehrern und Pionierleitern in Konflikt. Die Gottesdienste boten ihm eine Alternative zur sozialistischen Einheitserzählung, ebenso wie das Lesen der Bibel, die für den Maler bis heute "ein Buch voller urmenschlicher Themen wie Liebe, Begehren und Verrat " ist. Als Kind faszinierten ihn das Alte Testament, aber auch Jules Verne, Mark Twain und die auf Lyman Frank Baums "Wizard of Oz" aufbauende "Zauberland-Reihe" des russischen Schriftstellers Alexander Wolkow. Die Lektüre war Thurau eine willkommene Flucht aus der Tristesse des Alltags, legte den Grundstein für die Sehnsucht nach unmöglichen Welten und brachte mit ihrer Bildgewalt nicht nur inhaltlich Couleur in sein Dasein.
Denn "Farbe – so wie wir sie heute kennen – war etwas, das es in der DDR eigentlich nicht gab" schildert der Maler. "Selbst einfache Aufkleber aus dem Westen, Hauptsache bunt, waren unter uns Kindern begehrte Handelsware." So erklärt sich auch seine bis dato anhaltende Begeisterung für die ästhetische und emotionale Dimension von Farbe, die er in seiner Arbeit gern an ihre Grenzen treibt [4].
Es dauerte allerdings lang, bis Thurau sich für ein Leben als Künstler entscheiden konnte.
Nach der Schule studierte er "in einer langen Phase der Selbstverleugnung" Jura, Philosophie und Soziologie in Halle an der Saale. Es war eine Art Bohème-Studium in den 1990ern mit Kontakten zu Musikern und anderen Kulturschaffenden. Parallel versuchte er sich als Sänger einer Punkband, flog aber aufgrund "unzureichenden sängerischen Vermögens" bald wieder heraus. Er begann "aus Geltungsdrang und Langeweile" zu zeichnen, freundete sich mit Türstehern an, bemalte deren Motorräder und schließlich ganze Diskothekenwände.
Doch erst ein Malkurs und der heimliche Besuch abendlicher Aktklassen an der Burg Giebichenstein brachten die echte Konfrontation mit der Kunst und ihrer Geschichte, mit Künstlern wie van Gogh oder Schiele. Er besuchte Museen und erlebte am Rande der Biennale von Venedig die Begegnung mit Werken Basquiats als Initialzündung.
Schon während er sein erstes juristisches Staatsexamen ablegte, war er als autodidaktischer Maler tätig. In dieser Zeit lernte er die beiden Brüder Peter und Torsten Ruehle aus Dresden kennen, die eine erstaunlich ähnliche Vita aufwiesen, und gründete mit ihnen die Künstlergruppe "Eiland".
Durch die gebündelten Kräfte erlangte das Kollektiv auch ohne Akademiekontakte eine höhere Sichtbarkeit und war bald in mehreren Ausstellungen vertreten. Außerdem ging es darum, in Rekurs auf Aldous Huxleys Roman "Island" ein utopisches Gegenmodell zur desillusionierenden Nachwende-Realität zu schaffen. Die war für
Thuraus Generation mit ernüchternden Erfahrungen verbunden, wie der Maler erzählt. In der hoffnungsvollen Zeit Anfang November 1989 hätten sie sich keine Wiedervereinigung, sondern eine "andere DDR mit einem menschlichen Antlitz" und einem tatsächlich demokratischen Sozialismus gewünscht. Seitdem spiegelt sich diese Ernüchterung als Sehnsucht in seinem Werk. Und darin bleibt die Insel – als übergeordnetes Symbol für eine fern von Positivismus und Materialismus mögliche Welt – ein wichtiges Motiv.
So auch in der Arbeit Violent Hill von 2021 [5]. Auf den ersten Blick beschaulich, birgt sie nicht nur im Wortspiel des Titels eine gewisse Bedrohlichkeit. Neben dem "gewalttätigen" Hügel zwängt sich ein dunkles, flaches Gebäude mit Schornstein ans Ufer. In der beginnenden Nacht verschmilzt es zwar mit der Landschaft, kann aber – wie in einem impressionistischen Gemälde – als Sinnbild von Industrialisierung und gesellschaftlicher Normierung gelesen werden. Die in gestischem Gelb leuchtende Insel mit dem fröhlich gestrandeten Boot wirkt im Komplementärkontrast dazu unbekümmert anarchisch.
Insgesamt erscheint Violent Hill skizzenhafter und weniger ausformuliert als andere Gemälde. Allerdings liegt sämtlichen Arbeiten ein schneller, freier, manchmal widerständiger Duktus zugrunde.
Das ist nicht nur auf Thuraus Bewunderung für Basquiat zurückzuführen, sondern auch auf seine späte akademische Schulung: Nachdem der Künstler Anfang der Nullerjahre nach Berlin gezogen war und dort zunehmend Erfolg hatte, absolvierte er 2008 ein einjähriges Masterstudium am englischen Norwich University College of the Arts im Fach Zeichnung. Ab 2010 besuchte er dann die Malereiklasse von Werner Büttner an der Hochschule für bildende Kunst Hamburg, die er 2013 ebenfalls mit einem Master abschloss.
Eigentlich war er in der HFBK weiterhin auf der Suche nach Antworten auf handwerkliche Fragen, doch bei seinem namhaften Lehrer musste er sich vor allem theoretisch positionieren. Er übernahm in dieser Phase einiges von Büttners Bad-Painting-Manier, von dessen "rotziger" Malweise, wurde dunkel und abgründig im Ausdruck [6].
In den Arbeiten aus dieser Zeit lassen selbst die Pflanzen ihre Köpfe hängen, wirken verdorrt und vertrocknet, bis der Künstler realisiert, dass diese Richtung nicht wirklich zu ihm passt. Seine Palette hellt sich wieder auf, die Vegetation erstarkt zumindest partiell und er fährt damit fort, merkwürdige, damals noch kleinteiligere, oft auch mit subtilem Humor durchzogene Bildsphären zu schaffen.
Ein grundlegender Wesenszug ist dabei die verunklärende Setzung: Auf der 1,60 x 1,00 m großen Leinwand Welcome von 2017 verharrt ein weißer Hund vor einem Eingang, wobei sich nicht ausmachen lässt, wo er sich eigentlich befindet [7]. Denn hinter der Haustür, in deren Fenster sich eine bedrohliche, comicartige Gestalt abzeichnet, tut sich eine Landschaft auf. Mehrfach kommt es zu einer Gleichzeitigkeit von Außen und Innen, von Exterieur (Baldachin) und Interieur (Heizungsverkleidungen), die klare räumliche Koordinaten zu überflüssigen Kategorien erklärt. Thurau stiftet hier eine dem Malvorgang geschuldete Verwirrung und konterkariert sie mit der unerschütterlichen Ruhe des Tieres.
Tatsächlich unterliegen die meisten Arbeiten einem komplizierten Entstehungsprozess: Zunächst umreißt Thurau die Anlage jeden Gemäldes intuitiv in schnellen und groben Strichen, die der in den Zeichnungen und Ölkreiden ähnlich ist [8]. Doch für die endgültige Komposition auf der Leinwand "zähmt" der Künstler seine ausladende Gestik. Der Duktus wird in der Bildwerdung ruhiger, dichter und in sich geschlossener, während die Energie des Darunter spürbar bleibt.
Nur bei maschinengrundierten Leinwänden greift der Maler noch zu Acryl, um mit einem großen Pinsel den Hinter-, Mittel- und Vordergrund und das Grundgerüst anzulegen. Den Rest oder eben auch das ganze Bild gestaltet er dann mit selbst angemischten Ölfarben. Dafür taucht er seine Pinsel in einen eigenhändig angerührten, wasserbasierten Ölbinder, geht damit direkt ins Pigment und anschließend auf die Leinwand.
In pittoresker Anordnung auf einem Rollwagen im Atelier sind unter den Farbtönen zahlreiche Nuancen von Blau und Grün sowie einige Varianten von Rot, Gelb und Violett zu finden. Thurau erklärt, wie er den Anteil des Öls variiert, um die Leuchtkraft zu lenken, und durch Ölkreiden interveniert. In einer bewegten Auseinandersetzung mit den Materialien, Formen und Farben, einem Schlagabtausch zwischen Kontrolle und Zufall lässt er das Bild entstehen. Dabei ist ihm wichtig, dass sich eine lebendige Haptik, eine spannende Oberfläche herausbildet, die das Original stark von seiner digitalen Wiedergabe unterscheidet. [9].
Es gibt eine lange Tradition, in der die Geschichte der Kunst, aber auch die Kunstproduktion – wie bei Johann Gottfried Herder – mit einer Art pflanzlicher Entfaltung verglichen wird.
Das sieht Thurau ganz ähnlich: "Zunächst lege ich Samen an und bewässere sie großzügig mit allen möglichen und unmöglichen Farben. Dann lasse ich alles wachsen, muss hier was abschneiden, dort etwas anpfropfen, da etwas anbinden. Manchmal schießt mir was ins Kraut und es geht wieder los von vorn. Ich bin ein Arbeiter im Garten der Kunst." Kein Wunder, dass gerade das Gedeihen der Vegetation auf der Leinwand einiges von der Eigenart der Gemälde ausmacht.
Doch ihr Bestand ist nie gesichert, weil der Künstler oft so viele Passagen überarbeitet, dass sich mehrere Schichten von Darstellungen überlagern, mit Figuren und Landschaften, die kommen und gehen. Dementsprechend verschieben sich inhaltliche Ideen und das Gemälde, das im Grunde eine Reihe von Bildern enthält, nimmt einen unerwarteten Ausgang.
Das ist zum Beispiel auch bei dem Dialog der Religionen von 2020 der Fall [10]. Der Künstler demonstriert das anhand eines Videoclips, in dem er jedes Stadium festgehalten hat: Zwar bleibt hier die Anlage von zwei Figuren am Stehtisch und einem daneben sitzenden Hund erhalten. Doch die gemalten Geschöpfe ändern ihre Haltung, Kleidung und Herkunft, also ihre Identität, permanent. Gerade die linke Gestalt wird vom personifizierten Tod in lässiger Alltagskleidung über einen Sensemann im Kreuzrittergewand zu einem Gespenstartigen Wesen in weißem Gewand, das sich dann nochmal einen Totenschädel zulegt, bevor es sich langsam in einen androgynen Jüngling mit einem an Picasso erinnernden Kopf und einem orientalisch verzierten Bademantel verwandelt. Jetzt versteht man, warum das Personal in Thuraus Bildern oft maskenhaft und durchaus "fluide" in punkto Gender und Hautfarbe erscheint.
Zu dem angenehm unwirklichen und offenen Zustand vieler Darstellungen tragen nicht zuletzt auch die Zitate aus Kunstgeschichte und Comic bei, die der Künstler, der seit März 2022 einen Lehrauftrag für Malerei an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg innehat, bewusst in seine Arbeiten mit einfließen lässt.
Während der intensiven Beschäftigung mit einem Bild, die Wochen oder Monate umspannen kann, benötigt Thurau immer wieder den anfangs erwähnten räumlichen oder auch zeitlichen Abstand zum jeweiligen Werk. Und dafür geht der Maler, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Nordneukölln lebt, gern noch einmal abends ins Atelier.
Neue Ideen bezieht Thurau nicht nur aus der fortwährenden Überprüfung der eigenen Arbeit, sondern auch aus der Literatur und aus der ständigen Beobachtung der ihn umgebenden Wirklichkeit – insbesondere auf Reisen oder während eines Artists-In-Residence-Programms, wie an der Guthmann Akademie am Wannsee im Juni 2022. Dann zeichnet er, hat Ölkreiden, Zeichenkohle sowie Gouachefarben dabei und braucht für die Fixierung eines Gedankens oder Eindrucks nur wenige Minuten.
Häufig dienen diese Arbeiten als Vorlagen für großformatige Bilder, wie für die 2022 besonders präsente Serie des Mansfelder Silvesters [11]. Darin transformiert der Künstler alte Berghalden in strahlende Schönheiten. Es sind die sogenannten Mansfelder Pyramiden westlich von Halle, die er hier in den Fokus nimmt: Riesige, fahle Spitzkegel, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den Abbau von Kupferschiefer entstanden. Thurau kennt sie seit seiner Kindheit, liegen sie doch nur eine knappe Stunde von seinem Geburtsort Köthen entfernt.
"Hier wir das Motiv der Pyramide als Ruhestatt für die ägyptischen Herrscher (die als Götter galten) mit dem Motiv der Abraumhalde zum Vulkan, einem neuen wehrhaften Berg (dem Sitz der Götter), verschmolzen." Und der veranstaltet, vor kadmiumrosa- bis violettgetönten Himmeln, ein wahres Feuerwerk. Es ist wie ein Naturschauspiel, das in seiner eruptiven Farbigkeit – vor allem in den großen Formaten – fast aggressiv wirkt. Schließlich versieht der Künstler die traurigen Relikte der menschengemachten Ausbeutung unmissverständlich mit der Schablone seiner blühenden Malerei. Und verweist damit auf die Stärke der Natur, die in Gestalt unkontrollierter Lavaströme und Aschewolken zwar zur Gefahr werden kann, die aber in jedem Fall die Kraft besitzt, alle Zerstörungsversuche des Homo Sapiens zu überdauern.
Die Darstellung Wohnwagen in den Dünen von 2022 macht dagegen einen sehr ausgeglichenen Eindruck [12]: Verwunschen steckt die fahrbare Behausung zwischen Büschen und Bäumen, dahinter ein heller, tiefliegender Mond. Der magentafarbene Weg hat die Anmutung eines kleinen Bachs, in dem sich die Himmelsgestirne spiegeln. Die Formen wiegen und schmiegen sich aneinander, alles im friedlichen Duktus, durchdrungen von großer Ruhe. Dabei bleibt die Farbe, die Malerei autonom, die Stämme der Bäume leuchten eigenwillig und eigenartig. In unerschrockener Nähe zu Munch kommt Thurau hier zu einem Ausdruck vollkommener Harmonie.
Schon lange findet sich der belesene Maler auf seiner Suche nach Arkadien in der Gedankenwelt der Romantik wieder. Aus dem Stehgreif rezitiert Thurau einige Strophen aus Hölderlins Gedicht Der Gott der Jugend, während wir ein Gemälde gleichen Titels betrachten [13]. Die Verse klingen in ihrer traumhaften Verknüpfung von antiker Mythologie und christlichem Glauben wie eine der wunderbarsten Beschreibungen seiner Kunst:
Gehen dir im Dämmerlichte / Wenn in der Sommernacht / Für selige Gesichte / Dein liebend Auge wacht / Noch oft der Freunde Manen / Und, wie der Sterne Chor / Die Geister der Titanen / Des Altertums empor;
Wird da, wo sich im Schönen / Das Göttliche verhüllt / Noch oft das tiefe Sehnen/ Der Liebe dir gestillt / Belohnt des Herzens Mühen / Der Ruhe Vorgefühl / Und tönt von Melodien / Der Seele Saitenspiel;
So such im stillsten Tale / Den blütenreichsten Hain / Und gieß aus goldner Schale / den frohen Opferwein! / Noch lächelt unveraltet / Des Herzens Frühling dir / Der Gott der Jugend waltet / Noch über dir und mir.
Und so wie Hölderlin in dem 1796 entstandenen Werk nach einem im Humanismus verankerten Ideal der Eintracht zwischen Mensch, Natur und Göttlichkeit strebt, so ist es auch Thuraus Anliegen dieses in unserer heutigen Realität kaum mehr spürbare Gleichgewicht zu evozieren. Überhaupt verbindet den Künstler viel mit dem Dichter, der große Hoffnungen an die Französische Revolution von 1789 knüpfte und von den Folgen ähnlich enttäuscht war wie der Maler nach der Wende - genau 200 Jahre später.
Thuraus umfassender Ansatz führt nicht zuletzt auch zu der tiefen Ambiguität, die sein Werk durchzieht: "Meine Bilder entstehen an der Schnittstelle von Werden und Vergehen, von Historie und Utopie, von Imaginiertem und Realem. (…) sentimental oder naiv an den Menschen als ein zur Transzendenz befähigtes Wesen glaubend, entstehen sie als Versuch, die durchschnittenen Bande zu den Zeiten mystisch-magischer Weltsicht kurzfristig zu überbrücken oder doch wenigstens deren Hintergrundstrahlung sichtbar zu machen. (…) Meine dafür bevorzugte Lichtstimmung ist das Zwielicht, das Unentschiedene, das nicht mehr ist oder erst noch wird. Es ist die Lage des Karsamstages, des Tages der Grabesruhe, des Stillstandes der Zeit und der furchtsamen Erwartung."
KUNST&material, März-April 2023