Im Reich des Absurden

27.04.2020


Der Bildhauer Jürgen Goertz bespielt den Heidelberger Schlossgarten mit 23 monumentalen Skulpturen / Ausstellung zum 80. Geburtstag des "S-Printing Horse"-Schöpfers

Von Julia Behrens

Eigentlich ist angesichts schwieriger Zeiten dekorative Verspieltheit nicht schlecht. Ein Hauch von Mythologie und Märchen ist es auch nicht. Selbst eine kräftige Portion Surrealismus kann nicht schaden, um Menschen auf andere Gedanken zu bringen.

Experimentier- und Erzählfreude sowie die Verschränkung gegensätzlicher Elemente, all dies sind wichtige Ingredienzen im Werk des Bildhauers Jürgen Goertz. Und sie könnten in seiner groß angelegten Ausstellung "Der allegorische Blick", die zurzeit im Heidelberger Schlossgarten gezeigt wird, wunderbar harmonieren, wenn, ja wenn nicht einige Arbeiten so überladen und schrill wären.

Schade, denn auch die vom Künstler durchdachte Inszenierung kann sich weitgehend sehen lassen: Da verweilt zum Beispiel ein riesiges Pferd aus Metall im Parterregarten des einstigen Hortus Palatinus und blickt hinüber zur großen Grotte und "Vater Rhein". Weiter vorn lenkt ein Königspaar in seltsamem Ornat einen Wagen in Richtung Ottheinrichsbau. An anderer Stelle steht eine von einem Cello durchwobene Figur aus Bronze in harmonischem Einklang mit der Kulisse des zerschossenen Krautturms, während Gnomen und Fabeltiere ihr Unwesen im Stückgarten treiben. Doch dazwischen lauern immer wieder Gestalten und Assemblagen mit aufgeblähtem Symbolgehalt, die so gar nichts Leichtes und Verspieltes mehr haben.

Jürgen Goertz ist dafür bekannt, starke Reaktionen in der Öffentlichkeit hervorzurufen: Entscheidungsträger und Publikum unterteilen sich in glühende Bewunderer und scharfe Gegner, ein Phänomen, das sich nicht nur bei der Aufstellung des überdimensionalen "S-Printing Horse" vor der Print Media Academy beim Heidelberger Hauptbahnhof im Jahr 2000, sondern auch bei anderen Großprojekten des Künstlers im öffentlichen Raum zeigt.

Dass die Meinungen zu Goertz auch bei den Besuchern des Schlossgartens weit auseinander gehen werden, davon ist Michael Hörrmann, der Geschäftsführer der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, überzeugt. Er hatte den im Kraichgau ansässigen Bildhauer - anlässlich seines 80. Geburtstags im letzten Jahr - zu der nun bis Oktober laufenden Jubiläumsschau eingeladen und erhofft sich, dass die Auseinandersetzung mit den Werken auch die Aufmerksamkeit auf die Struktur des Schlossgartens, vor allem auf den historischen Raum des ehemaligen Hortus Palatinus lenkt.

Im Vorfeld war der Künstler außerdem beauftragt worden, sich an der - voraussichtlich Ende Mai abgeschlossenen - Renovierung des "Gläsernen Saalbaus" im Heidelberger Schloss mit der plastischen Gestaltung neu installierter Stahlträger zu beteiligen. Doch nicht nur daraus ergibt sich ein dauerhafter Bezug zwischen dem erfolgreichen Bildhauer und Deutschlands berühmtester Schlossruine. Auch mit dem glänzenden, eigens für die Ausstellung kreierten "Guardian Angel" (2018-2020), der das Baudenkmal beschützen soll, schafft Goertz eine Verbindung. Angesichts dieses Ungetüms aus Aluminium, Neusilber, Edelstahl und Bronze fragt man sich allerdings, ob das Schloss vor diesem "Engel" nicht lieber bewahrt als von ihm bewacht werden sollte: Ein kleiner, antikisierter Kopf ragt aus einem monströsen Leib, der aus einer Kreuzung von Mensch und Baum entstanden zu sein scheint und in seiner Mitte den Grundriss des Schlosses auf einer quadratischen Platte preisgibt. Die Figur steht auf einer glänzenden Kugel, in der sich die Umgebung spiegelt. Knorrige Äste zieren auch die Flügel und spielen auf das Elisabethentor an, das sich ganz in der Nähe befindet. Auf dem Rücken der Gestalt prangen einige Fratzen sowie das Konterfei von Kurfürst Ottheinrich. Die ganze Arbeit ist übersät mit symbolhaften Anspielungen auf die wechselvolle Geschichte des Ortes. Hier, wie bei allen Skulpturen, in denen Goertz' moderne Allegorik in Überfrachtung ausartet, fällt die Komposition auseinander. Ideenreichtum und Phantasie schlagen in Beliebigkeit um.

Das ist bei der Skulptur "1+Dame" (1985) nicht anders. Im Begleittext heißt es dazu: "Die 1+Dame verdeckt ihr linkes Auge, doch unzählige andere entwachsen ihrem schmerzverzerrten Gesicht. Farbige Antennen durchstoßen ihren schreienden Kopf, ein Parabolspiegel wird zum bizarren Barrett. Ihr fehlt ein Zahn, die Hand ist abgetrennt und ihre Nase zerfetzt. (...) 1+ war der Name eines Kultursenders. (...) Die Figur zeigt, wie der Künstler ihn erlebte: als optische Überflutung."

Vielleicht aber könnte man die eigene Reizüberlastung auch weniger drastisch verarbeiten? Klarer wirken die eingangs erwähnten Großskulpturen, allen voran der "Musengaul" (1974/81), der eigentlich vor dem Badischen Staatstheater Karlsruhe in die Höhe ragt und aufgrund von Renovierungsarbeiten nun temporär nach Heidelberg umziehen durfte. Er besteht aus wenigen, gekonnt verschränkten Versatzstücken und passt wirklich gut in die Landschaft der heute als Englischer Garten ausgestalteten Terrassenanlage des Schlosses. 

27. April 2020 / Feuilleton - Rhein-Neckar-Zeitung