In die Zukunft weisender Chronist

15.05.2021

Die Stadt Walldorf erhält wertvolle Schenkung von 500 Gemälden, Zeichnungen und Grafiken aus dem Nachlass von Peter Ackermann

Es gab einmal einen Künstler, der in den 60er und 70er Jahren in Deutschland berühmt war. Der in Berlin Kunst studierte, 1971 den Villa-Romana-Preis erhielt, 1977 an der documenta teilnahm und 2007 starb. Und es gibt sein Werk, das sich in vielen Sammlungen befindet und im Besitz seiner Frau.

Die Rede ist von Maler und Grafiker Peter Ackermann (1934-2007), der mit seinen kühn komponierten Architekturlandschaften immer wieder Schönheit und Verfall vergangener Kulturen aufgriff und dessen Œuvre - in seltsamer Kongruenz dazu - von einem Schicksal zunehmenden Verschwindens aus dem öffentlichen Bewusstsein bedroht ist.

Sehr zu Unrecht, wie eine kürzlich angenommene Schenkung an die Stadt Walldorf beweist, die durch die Witwe des Künstlers, Monika Ackermann, erfolgte. Denn Peter Ackermann hat sich in seinen beklemmend menschenleeren Darstellungen nicht nur meisterhaft auf die Dekonstruktion antiker Formen und Proportionen verstanden, seine Bilder und Grafiken besitzen durch ihren dystopischen Charakter auch heute noch Brisanz.

Dass die Arbeit des 1934 in Jena geborenen Malers nun in Walldorf umfassend gezeigt, katalogisiert und neu beleuchtet wird, ist vor allem dem Kulturbeauftragten der Stadt, Hartmuth Schweizer, zu verdanken. Dieser studierte in den 70er Jahren Kunst und Kunstgeschichte an der Akademie der Bildendenden Künste in Karlsruhe, an der Ackermann von 1977 bis 1997 unterrichtete. Bis dato pflegt Harmuth Schweizer Kontakte zu der Hochschule und lädt Absolventinnen und Absolventen der Akademie zu Ausstellungen nach Walldorf ein. Durch die Vermittlung des ehemaligen Rektors und Kunstgeschichtsprofessors Andreas Franzke kam es 2019 zur Idee der Schenkung und zur Sichtung des Nachlasses bei Monika Ackermann.

Um die Entwicklung des Künstlers anschaulich aufzuzeigen, wurden Grafiken, Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde aus allen Schaffensperioden ausgewählt. Im Rahmen der wissenschaftlichen Aufbereitung, bei der in Teilen auch ein neues Werkverzeichnis angelegt wurde, kristallisierte sich dann die Frage heraus, wie sich das Œuvre Peter Ackermanns aus heutiger Sicht einordnen und bewerten ließe.

In der ersten Präsentation, die von November bis April im Rathaus Walldorf - leider pandemiebedingt nicht öffentlich - zu sehen war, standen die Radierungen des Grafikers aus den 60er und 70er Jahren im Vordergrund.

Während seines Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin (von 1956 bis 1962) prägten sich Ackermann der teils noch ruinöse Zustand der Stadt und das in vielen Straßenzügen vorherrschende Stilvokabular der Gründerzeit ein. Auf den ab 1963 entstandenen Blättern türmen sich - oft in dunkler Schraffur - unterschiedliche Fassaden-Elemente zu undurchdringlichen Wandgebilden auf, die in einer in sich gebrochenen Monumentalität und versatzstückartigen Zusammensetzung manchmal etwas Bühnenhaftes haben. Dächer, Treppen, Sockel, Säulen und Giebel führen - ihrer Funktionen beraubt - ein statisches Eigenleben und werden doch auf geniale Weise zu fragil ausbalancierten Ansichten verschmolzen.

Selten schiebt sich hier schon Landschaft ins Blickfeld. Sie gewinnt an Präsenz, als Ackermann Anfang der 70er Jahre durch Italienreisen und -aufenthalte inspiriert wird. Doch auch ihre Setzung folgt keinen perspektivischen Regeln: Hintergründe rücken nach vorn, Gebäude in Nahsicht nach hinten. Dadurch entsteht ein irreales Raumgefüge, das gelegentlich durch Alltagsrelikte ergänzt wird, wie moderne Bauteile, Autos oder Maschinen. Hinzu kommen neue, leichte zeichnerische Momente, die mal etwas weiterführen, mal unabhängig und ansatzweise abstrakt agieren.

Immer wieder ist in diesen Blättern die Freude an der technischen Herausforderung spürbar, die Auseinandersetzung mit den Materialien, den Unwägbarkeiten der Radierung. Im Zuge wichtiger Demokratisierungsprozesse im Kulturbereich nach 1968 gewann die Druckgrafik an Popularität und Ackermann wurde einer der bedeutendsten Vertreter dieses Mediums. Dabei entsprach die Erschwinglichkeit der Werke dem bescheidenen Auftreten des Künstlers, der sich immer wieder vom Kunstmarkt distanzierte.

Vielleicht auch ein Grund dafür, dass sein Wirken in den 80er und 90er Jahren nicht mehr so stark wahrgenommen wurde. Aus dieser Zeit gibt es in der Walldorfer Sammlung ebenfalls zahlreiche Arbeiten - überwiegend zu unbekannteren Projekten, wie einem Entwurf für die Hans Thoma Kapelle in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe oder der Publikation Zwei Stories. Häufig werden jetzt hohe, sakrale Innenraumstrukturen aufgebrochen. Die perspektivischen Störfeuer sind gerade in den Aquarellen wichtig, weil die vedutenhafte Detailtreue von Pilastern, Rundbögen und Kapitellen in Farbe sonst entfernt gefällig erscheinen könnte. Entschieden wirken dem aber auch zunehmend deutliche, abstrakte Strukturen und Konturen entgegen, welche später auf vielen Gemälden linienhaft zum einzig sichtbaren Konzentrat mutieren.

Diese Entwicklung hin zur Abstraktion, die einen Hang zur klassischen Moderne offenbart, hält Hartmuth Schweizer im Hinblick auf die Neubewertung des Künstlers für ausgesprochen wichtig, wurde der Maler doch durchgängig der Gegenständlichkeit zugeordnet.

"Modernität" bzw. Aktualität ist jedoch auch oder gerade in den früheren Arbeiten auszumachen. Denn die Verformung von Architektur und Landschaft produziert ein gespenstisches, zeitloses Niemandsland, das sich als potenzielles Bedrohungsszenarium immer wieder anders interpretieren lässt: Symbolisierte es in der Entstehungszeit - wie Frieder Hepp vom Kurpfälzischen Museum anhand einer kafkaesken Heidelbergansicht von 1974 vor gut einem Jahr in der RNZ beschrieb - die Angst vor atomarer Aufrüstung und Reaktorkatastrophen, passt es heute zum Schreckensbild menschengemachter Seuchen und Klimaschäden.

Das offene Narrativ in Ackermanns Arbeit nimmt viel von dem vorweg, was unsere Gegenwartsmalerei ausmacht: Gerade die Tendenz, bewusst herbei geführte formale und inhaltliche Gegensätze mit künstlerischen Mitteln in eine stimmige Symbiose zu überführen. In dieser Hinsicht könnte Peter Ackermann auch für eine jüngere Generation von Malerinnen und Malern interessant sein.

Info unter www.kultur-walldorf.de          

Unter dem Titel "Genial kombiniert" am 15. Mai 2021 im Kulturteil der Rhein-Neckar-Zeitung erschienen