Jenseits des Ateliers
Das Marta Herford bietet "Entdeckungen" im Werk des Künstlerfotografen Benjamin Katz
Diesmal sind es tatsächlich nicht Baselitz oder Immendorff, Lüpertz oder Penck, die in der neusten Ausstellung von Benjamin Katz zu sehen sind. Der berühmte Porträtist der "Neuen Wilden" nimmt durchgängig auch ruhigere Motive in den Blick - wie weite menschenleere Landschaften, poetisch eingefangene Stadträume oder zu Stillleben verdichtete Details aus Interieurs.
Von diesen eher unbekannten Aufnahmen lassen sich nun im Marta Herford 200 sorgsam mit Katz ausgewählte Exemplare aus sechs Jahrzehnten entdecken, die alle neu aufgezogen und gerahmt wurden. Sie stammen aus dem etwa eine halbe Million Negative umfassenden Archiv des 1939 in Antwerpen geborenen und seit 1971 in Köln lebenden Fotografen.
Katz experimentiert zum ersten Mal mit einer Kamera, als er nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1959 ein paar Monate in einem Sanatorium verbringt. Zu dieser Zeit studiert er bereits zusammen mit Georg Baselitz an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Er beginnt ganz beiläufig in seinem Freundeskreis auf den Auslöser zu drücken, macht sich dann als Galerist selbständig, nur um sich schließlich in den 70er Jahren zu einem der wichtigsten Künstlerfotografen in Deutschland zu entwickeln.
Die Vertrautheit mit bedeutenden Malern im Rheinland, zu denen auch Richter und Polke zählen, führen zu wunderbar leichten und dabei eindrücklichen Bildern, in denen sich die Aufgenommenen unverstellt und natürlich bewegen: meist in ihren Ateliers, bei der Arbeit oder in Kontemplation vor den Werken, selten in Pose und wenn, gern in einer ironisch angehauchten Haltung. Katz gelingt es, künstlerische Prozesse und damit ein Gesamtbild einzufangen, das vielen Kollegen verwehrt bleibt. Dafür konzentriert er sich gelegentlich auch auf Utensilien und Materialien. In Richters Ateliers findet er in einer Schublade angeordnete Pinsel oder aus der Wand ragende Quaste, die sich durch geschickte Ausschnitte und Perspektiven selbst zu einer Art Komposition zusammensetzen.
Es ist dieser entspannte, ungezwungene und doch anspruchsvolle, auf eine unsichtbare Ordnung hindeutende Ansatz, mit dem Katz auch Dinge und Szenen des Alltags in den Fokus nimmt. Wie zum Beispiel eine Gracht in Amsterdam, vor der sich ein Baum und eine Laterne in harmonischer Einvernehmlichkeit zur Seite neigen, oder die hellen Badehäuschen, die an einem verlassenen Strand von Dünkirchen wie aufgezogene Perlen in die Bildtiefe laufen und sich dort im Dunst verlieren.
Nur in den im urbanen Umfeld entstandenen Fotografien kommen Menschen vereinzelt ins Spiel. Wie ein Pförtner im Museum Kunstpalast, der in seinem hell erleuchteten Kabuff in scharf konturierter, an Edward Hopper erinnernder Einsamkeit ausharrt. Auch in Bezug auf diese Referenzen ist die Entdeckung neuer Gefilde im Bilderkosmos von Benjamin Katz interessant.
kunst:art Nr. 79, Mai-Juni 2021