Keine Krise in Sicht
"Positionen erweiterter Malerei" im Port25 in Mannheim
Wenn man den Titel der neuen Ausstellung im Port25 in Mannheim sieht, denkt man sofort an Corona: "Crisis? What Crisis?" heißt es da, doch in dem Raum für Gegenwartskunst geht es ausnahmsweise nicht um die die Welt verändernde Pandemie, sondern um das häufig und oft zu Unrecht heraufbeschworene Ende der Malerei.
Dass die Kunstgattung auch im 21. Jahrhundert nicht um ihre Existenz bangen muss, weil sie längst über das klassische Tafelbild hinausgewachsen ist und ungewöhnliche Wege einschlägt, zeigen in Mannheim fünf Künstlerinnen und Künstler mit "Positionen erweiterter Malerei".
Da werden Wert und Wirkung von Farbe ganz neu erprobt, die grundsätzlich etwas starre Anordnung von Keilrahmen und Leinwand aufgebrochen und mehrmals bewusste Bezüge zum Raum kreiert. Deshalb sind nicht nur die üblichen Bildträger, sondern auch Schulsportutensilien, Linoleumböden und anderes Baumarktmaterial mit von der Partie.
Wohl am markantesten ist das riesige "Sandwich" der Karlsruher Künstlerin Sophie Innmann: Sie hat eine mobile Stellwand zwischen zwei blaue Turnmatten mit orangefarbenen Spanngurten geklemmt und führt damit den in der Malerei oft angewandten Komplementärkontrast ad absurdum. Innmann ist nur selten zuhause, bereist die Welt und schafft ihre Werke in Reaktion auf die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort.
Auch in den Objekten von Martin Gerwers aus Düsseldorf bietet ausschließlich die Farbe einen Bezug zum Thema der Ausstellung. Der Künstler stapelt im Port25 je drei hochkant gestellte Dreiecksprismen versetzt übereinander. Die Seiten der Kuben sind in unterschiedlicher Façon monochrom gelb, schwarz oder weiß gehalten, sodass sich beim Umrunden immer wieder neue Farbresonanzen ergeben.
Die Interaktion mit dem Raum spielt bei Jonas Maas, der wie Gerwers an der Kunstakademie Düsseldorf studierte, ebenfalls eine Rolle. Nur dass sich Maas explizit auf das Phänomen "Bild" bezieht. In einer wandfüllenden Arbeit in Mannheim sind zahlreiche, zu einem offenen Raster angeordnete, bemalte MDF-Platten mit abstrakten Formen in Acryl und Lack zu sehen. Es gibt geregelte Abstände, aber auch Lücken, in denen die Wand zum integralen Teil einer Verwirrspiel-Komposition geriert. Denn obwohl sich über einige Tafeln hinweg eine Darstellung abzeichnet, ist es doch unmöglich, die vermeintlichen Fragmente vor dem inneren Auge zu einem stimmigen Ganzen zusammenzusetzen.
Alte Seherwartungen werden auch von Franziska Reinbothe aus Leipzig dekonstruiert. Ausgangpunkt ist immer ein selbst gemaltes monochrom oder abstrakt angelegtes Gemälde, dessen Keilrahmen sie zersägt oder Leinwand verzieht, sodass ein skulpturales Gebilde entsteht. Viel Energie steckt in diesen Arbeiten, mit denen Reinbothe auf bemerkenswert ironische Weise das Handwerkszeug der Malerei in seine Bestandteile zerlegt.
Als Künstlerin aus der Region ist Doris Erbacher aus Heidelberg zu sehen, die mit einer luftigen Salon-Hängung verschiedener kleinerer Exponate vertreten ist. Erbacher zeichnet und malt Linien, Gitter oder Farbfelder auf gemasertes Holz, Ton oder Leinwand. Einmal erzeugt der Bildträger - als eigenwilliger Korpus - Objekthaftigkeit, ein anderes Mal bringt der Auftrag - in Form von Senkrechten und Diagonalen - architektonische Strukturen hervor. Darüber hinaus suggerieren auch vorgefundene Materialien, wie ein mit Fliesenmuster bedruckter Bodenbelag, im richtigen Zuschnitt, Innenraumsituationen.
Bei "Crisis? What Crisis?" könnte man darüber diskutieren, ob der Begriff der erweiterten Malerei nicht zu stark gedehnt, ja vielleicht etwas überstrapaziert wird. Vor allem im Hinblick auf die zuerst beschriebenen Positionen. Gleichzeitig aber bietet das breite Spektrum viel zu entdecken und lädt dazu ein, die Werke - gerade auch in Bewegung - aus unterschiedlichen Perspektiven zu erleben.
Rhein-Neckar-Zeitung, Feuilleton, 01.10.2020