Schlagabtausch auf Augenhöhe
Zur Malerei von Arvid Boecker
In #1151 treffen Schwarz und Rosa aufeinander. Grün-weiß schimmert es auf der einen, gelb auf der anderen Seite von #1225. Und in #1272 kontrastiert ein dynamisch bewegtes Blau-Weiß mit einem durchbrochenen, leuchtenden Orange.
Seit 20 Jahren nummeriert der Maler Arvid Boecker seine Arbeiten durch. Mit neuen Werken schließt er an vorangegangene an, ein fortlaufender Prozess, auch wenn sich Formate und Kompositionen ändern. Es sind unendlich viele Versuchsanordnungen, die sich im übertragenen Sinn zu einem einzigen Bild zusammensetzen. Einem Bild, das laut Boecker noch lange nicht fertig ist, es vielleicht auch nie sein wird.
Boecker wird 1964 in Wuppertal geboren und studiert zunächst Chemie und Kunstgeschichte.
Von 1989 bis 1994 besucht er die Klassen von Bodo Baumgarten und Jochen Gerz an der gerade neu gegründeten HBKsaar in Saarbrücken und erprobt in dieser Zeit verschiedene Materialien und Medien. Ende der 1990er Jahre entwickelt er eine Malerei, in der er sich auf der Grundlage geometrischer Strukturen ganz auf das Wesen und die Wirkung von Ölfarbe fokussiert. Es entstehen großformatige Arbeiten, die in schlanke, vertikale Streifen unterteilt sind und später dann auch Bilder, die mit horizontal angelegten Formen und Formaten in Erscheinung treten. Darin treffen Partien aus in sich bewegten, dunkel abgetönten Grund- oder Erdfarben auf flirrende, hellgraue oder weißliche Flächen, wobei die einzelnen Zonen malerisch differenziert angelegt und nie ganz monochrom sind. Der stoffliche Charakter des meist in vielen dünnen Schichten aufgetragenen Öls spielt dabei eine ebenso große Rolle, wie die Interaktion zwischen den einzelnen Farbfeldern und die daraus resultierende Rhythmik und Intensität der Bilder. Dies trifft auch auf spätere Serien zu, die auf der Grundlage eines quadratischen Rasters mit einer Fülle von Farbverknüpfungen aufwarten.
Boecker, der seit 1996 in Heidelberg lebt, hat mit seinem Ansatz - mit der Ambivalenz aus formalem Purismus und intuitivem Farbauftrag - Erfolg. Er stellt seit mehr als zwei Jahrzehnten in Kunstvereinen und Museen aus, ist in den USA, Europa und Australien vertreten und nimmt neuerdings im Bereich "Reductive Art" und "Minimal Painting" an Biennalen in Sydney und Kiew teil. Seine künstlerische Ausrichtung spiegelt sich auch in der eigenen Sammlung wider, die mittlerweile 100 Werke aus diesem mit der konkreten Kunst verwandten Gebiet umfasst. Und an dem Projektraum boeckercontemporary, den er in der ehemaligen LKW-Durchfahrt seines Hauses gelegentlich als Plattform für Ausstellungen ähnlich arbeitender Kollegen nutzt.
Dazu passt, dass der Maler mit einer aktuellen Reihe, die er vor 5 Jahren begonnen hat, noch einen Schritt weiter in Richtung Reduktion geht: Seit 2015 erprobt Boecker das Malen auf einem Leinwandformat von 50 x 40 cm, das - in der Mitte durch eine Linie geteilt - aus zwei hochrechteckigen, nebeneinanderliegenden Flächen besteht und mit seiner radikalen Begrenzung ungewöhnliche Anforderungen stellt.
Die meisten dieser so klar vermessenen Bilder malt Boeckers in einem lichten Atelier, das sich im Garten seines Hauses in Heidelberg-Rohrbach befindet. In der ehemaligen LKW-Werkstatt, deren Glasbaustein-Oberlichter und Stahltor er durch Fenster und Glastüren ersetzt hat, zieht er jeweils etwa 20 neue Leinwände auf Keilrahmen auf. Dabei bevorzugt er in jüngster Zeit die naturfarbene Rückseite grundierten Leinens, das er gern am Rahmenrand stehen lässt. In der von ihm so benannten Vorbereitungsphase versieht der Maler das linke und das rechte Feld jeweils mit mehreren, unterschiedlich farbigen Lasuren.
Wenn Boecker ein Bild fertigstellt, hat er den Nachhall eines bestimmten Farbklangs im Kopf. Meist ist es ein Klang, der unter der sichtbaren Oberfläche liegt und der dann in einer neuen, bereits vorbereiteten Arbeit wieder aufgenommen wird. Der Maler baut darauf auf, Schicht um Schicht, in einer Phase intensiven Schaffens, bis er in einem Wechsel aus Aktion und Kontemplation, aus Addition und Subtraktion zur endgültigen Lösung findet. Und das kann Tage oder Wochen dauern.
Auf einem Tisch in Boeckers Atelier befinden sich ganze Sätze von Ölfarben, die der Künstler entweder pur oder abgetönt, zum Teil auch verdünnt mit dem Pinsel aufträgt. Gern arbeitet er nass in nass, sodass sich die neu applizierte Farbe mit der darunter liegenden mischt. Häufig verwendet er auch ein Silikon-Rakel, zieht alle noch feuchten Lagen ab, streicht sie zurück auf dieselbe Seite und erzielt damit eine stark changierende, zwei- oder dreifarbige Fläche. An anderer Stelle schleift der Maler bereits getrocknete Schichten wieder an und lässt die darunter liegende Farbe zum Teil wie Reflexe hervorscheinen. Bei jedem Schritt interessiert es Boecker, der seit 2019 ein zweites Atelier in einem Künstlerhaus in Frankfurt betreibt, wie seine eigene Handlung und der Zufall in Bezug auf die Reaktion des Materials ineinandergreifen. Und durch welche Faktoren sich Eigenschaft und Wirkkraft der Farben noch verändern, zum Beispiel - ganz entscheidend - durch die Töne, die im benachbarten Feld dominieren.
Boecker zufolge sind die abstrakten Diptychen immer auch Resonanzraum für die Befragung der eigenen, künstlerischen Existenz. Sie korrespondieren mit den zwei Gesichtshälften des Gegenübers und werden im Arbeitsprozess zu Selbstportraits. In enger Zwiesprache mit der Leinwand, die der Maler auf Augenhöhe an einer senkrecht an der Wand befestigten Staffelei bearbeitet, antwortet er auf die Impulse und Schwingungen, die von der jeweiligen Kombination ausgehen. Er konfrontiert hell mit dunkel, variiert zwischen laut und leise, schafft Dissonanzen, aber auch Gleichklänge und Harmonien und weiß nach 20 bis 40 Lagen erstaunlich genau, wann die Arbeit fertig ist.
Das große Farbspektrum, das jedem Bild innewohnt, wird teils an den Rändern der Felder und teils durch die Leuchtkraft evident, die sich dank der Lasurtechnik aus den tieferliegenden Schichten entwickelt. Real vor Augen tritt die ganze Palette jedoch erst bei der Hängung und seriellen Aneinanderreihung der Werke im Ausstellungsraum. Analog zur Entstehung entfaltet sich dort ein raffinierter Schlagabtausch von Farb- und Materialbeziehungen, Kontrasten, Kongruenzen und dazwischen liegenden Möglichkeiten. Es scheint, als könne es bei dieser Art der Malerei tatsächlich kein Ende geben. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich der Künstler seit kurzem wieder größeren Leinwänden und einer neuen Flächenorganisation zuwendet.
Februar - April 2020 / boesnerzeitung