Wie aus einem Paralleluniversum
Der Druckgrafiker und Maler Wolfgang Troschke im Kunstraum Vincke-Liepmann
Wie kann etwas nur so vertraut und doch fremd sein? So leicht und doch so ernst? Die Kunst von Wolfgang Troschke (*1947) kann es. Sie entzieht sich jeder Eindeutigkeit und versetzt das Publikum in einen Zustand des Staunens.
Jetzt sind Gemälde, Collagen und Grafiken des international vertretenen Künstlers aus Münster in den schönen Altbauräumen des Kunstraums Vincke-Liepmann zu sehen. Dort war Troschke zuletzt vor der Pandemie, im Jahr 2019, mit Zeichnungen und Druckgrafiken zu Gast. Nun zeigt er Werke, die in der Coronazeit entstanden sind.
Der Künstler blickt bereits auf eine lange Karriere zurück: Mit 20 Jahren bestreitet er während seines Studiums von 1966 bis 1970 an der Werkkunstschule in Münster seine erste Schau. Er wird Druckgrafiker, erhält zahlreiche Auszeichnungen und ist mit Ausstellungen in Europa, den USA und Asien präsent. Darüber hinaus realisiert er in den 70er Jahren druckgrafische Projekte von so bekannten Zeitgenossen wie Fred Thieler und Gerhard Hoehme. Diese beiden Vertreter des Informel haben - wie Emil Schumacher - großen Einfluss auf Troschke: Er arbeitet zunehmend abstrakt und erhält 1978 eine Professur für Druckgrafik an der Fachhochschule in Münster. Erst in den 80er Jahren wendet er sich der Malerei zu und setzt sie in ein spannungsvolles Verhältnis zu verschiedenen Drucktechniken. So versieht er einige seiner s/w-Lithografien mit roten, gelben oder grünen Akzenten und macht aus diesen Blättern Unikate.
Auch in seinen neusten Arbeiten greifen grafische Elemente und Farbe ineinander, begegnen und ergänzen sich auf vielfältige Weise. Überhaupt scheinen Wolfgang Troschke Gegensätze zu interessieren. Denn trotz der großen Bandbreite von Techniken schwingt durch alle Exponate etwas Verspielt-Experimentelles, das durch die durchgängige Verwendung schwarzer Linien oder Felder gleichzeitig substanziell wirkt. Die Farben, meist hell und frisch, sind dabei äußerst unabhängig. Locker aufgetragen bilden sie in den Gemälden mal einen Hintergrund, mal eine Zone, bezeichnen etwas Unlesbares und treiben Verwirrspiele: wie die roten, nach unten verlaufenden Spuren auf der Leinwand von "August 2021".
Das Besondere an Troschkes Arbeiten sind aber die Formen, die überall in den meist flächig angelegten Kompositionen auftauchen und teils klar konturiert, teils fasrig oder schraffiert Rätsel aufgeben. Manche schieben sich, aus einer unsichtbaren Sphäre kommend, vom Bildrand in die Mitte. Andere regnen durch die Darstellung oder schweben selbstbewusst vor Blatt und Leinwand. Es sind Punkte und Linien, die Muster und Raster formen, nie streng geometrisch, sondern eher bewegt. Sowie Dinge und Zeichen, die außerhalb unseres Erfahrungshorizontes existieren. Gezacktes oder Gerundetes, das zwar entfernt an eine Krone, einen Stuhl erinnert, sich aber jeder Deutung entzieht: Symbole ohne Semantik, gegenstandslose Objekte, die es allein in Troschkes künstlerischem Paralleluniversum gibt. Wie ein großangelegtes, benachbartes "Nebenan", zu dem man nicht vordringen kann.
Es ist aber gerade die Nähe zu unserer Wirklichkeit, dieser kleine Spalt zwischen Realität und Phantasie, die Troschkes Arbeiten so unverwechselbar machen. "Wo ich noch nicht war" heißt dann auch der Titel der Ausstellung.
11.03.22, Feuilleton RNZ