Wir sind hier - Heidelberger Kunstverein
"Wir sind hier" heißt es in großer, virtuell erlebbarer Ausstellung im Heidelberger Kunstverein - Mit Kunstschaffenden aus der Region, die sonst hinter den Kulissen arbeiten.
Von Julia Behrens
Es gibt sie immer wieder: Überraschende Formate und Ideen, die während der Coronakrise in der Kunstszene entstehen. Tatsächlich scheint es da auf allen Ebenen ein berufsspezifisches Kontingent an Flexibilität und Resilienz zu geben.
Die Ausstellung "Wir sind hier" drückt das sprachlich selbstbewusst aus. Denn die große, momentan nur online zugängliche Schau im Heidelberger Kunstverein signalisiert neben künstlerischem Kampfgeist auch kuratorisches Durchhaltevermögen.
Dass am Ausstellungsaufbau in kulturellen Einrichtungen meist bildende Künstlerinnen und Künstler beteiligt sind, die Gemälde hängen, Objekte platzieren, fotografieren und sich um die Technik kümmern, ist nicht allen bekannt. Im Heidelberger Kunstverein hilft eine ganze Reihe junger Kunstschaffender hinter den Kulissen. Die meisten besitzen eine akademische Ausbildung, kommen aus Heidelberg und Mannheim oder studieren noch an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe.
Jetzt sind sie es selbst, die Werke im Kunstverein zeigen und in einem 360º-Rundgang vermitteln. Weil die Schau "Facing New Challenges: Water" während des zweiten Lockdowns nicht aufgebaut, sondern mit ihren Videoformaten komplett ins Netz verlegt wurde, entstand Raum für die geniale Idee von Kunstvereinsleiterin Ursula Schöndeling, die professionelle, künstlerische Seite ihrer Mitarbeiter bis Mitte Februar 2021 institutionell sichtbar zu machen und diese mit Honoraren und der Übernahme von Produktionskosten zu unterstützen.
Die Exponate fügen sich im gesamten Kunstverein nicht nur zu einer gelungenen Gesamtansicht zusammen, sondern können es auch locker mit den dort sonst gezeigten, internationalen Positionen aufnehmen. Neben Malerei, Zeichnung und Fotografie gibt es in der Ausstellung zahlreiche Objekte und Installationen zu entdecken. Und das funktioniert selbst digital gut.
Den Anfang machen zwei Bilder des Heidelberger Künstlers Björn Ruppert (*1980), der seine malerisch aufgefassten Landschaften mit rätselhaft-abstrakten, futuristisch anmutenden Zeichen von Zivilisation versieht und damit ausgedehnte Deutungsräume im Spannungsfeld von Natur, Architektur und Technik eröffnet. Dagegen schafft der Maler Matthias Gmeiner (*1998) aus Karlsruhe meist abstrakte Farbkompositionen aus mehreren Öl-, Latex- und Lackschichten. Er addiert und subtrahiert, legt schon Verdecktes wieder frei und lotet mit dieser experimentellen Vorgehensweise die Dimension der Ausdrucksmöglichkeiten aus, die zwischen Leinwand und Bildoberfläche liegen.
Werkimmanente Fragen beschäftigen auch den Heidelberger Fotografen Markus Kaesler (*1977), der mit der Lochbild-Serie "transit" vertreten ist. Die durch Langzeitbelichtung verwischten Schwarz-Weiß-Bilder eines Bahnhofs tragen Aspekte von Bewegung, Mobilität und Schnelllebigkeit in sich. Gleichzeitig bleibt die Kamera beim Aufnahmevorgang vollkommen statisch. Ähnlich komplex sind die popart-bunten Photoshop-Kompositionen des in Heidelberg lebenden Fotografen Eyal Pinkas (*1980). Durch die Überblendung mehrerer Interieur-Aufnahmen entsteht eine surreale Szenerie, in der Versatzstücke im Raum ihre Konturen verlieren und sich auf eindrucksvolle Weise verflüssigen. Hier befinden sich nicht nur die Dinge, sondern auch das Medium Fotografie in Auflösung.
Malte Römer (*1997) aus Karlsruhe ist mit zwei großen, sich langsam drehenden Skulpturen im Atrium und einer kinetischen Installation im Studio präsent. Letztere heißt "Zimmer frei, 500 Euro kalt" und besteht aus zwei angedeuteten Haushälften, die sich - im Inneren mit spitzen Stangen versehen - aufeinander zu- und voneinander wegbewegen. Dank des Titels lässt das Ganze an den prekären Wohnungsmarkt in Städten denken, der die Suche nach brauchbarer Behausung zum Spießrutenlauf macht.
Auf dem virtuellen Rundgang direkt ins Auge fallen auch die großen Objekte von Manuel Dück (*1990), der heute in Düsseldorf und Karlsruhe lebt. In fast schon lyrischer Leichtigkeit erhebt sich die Arbeit "Ouroboros" auf einer nierenförmigen Basis als spitz zulaufende Holz-Ellipse in die Höhe, während der "Große Kreis" vollkommene Harmonie verströmt. Die gerissenen Stoffbahnen, die dieser Skulptur im Inneren Eleganz verleihen, passen gut zur benachbarten Installation von Matthis Bacht (*1982). Der Heidelberger Künstler, der das "Haus am Wehrsteg" als Atelier und Ausstellungsforum nutzt, hat die Grundrisse der Räume seines Wirkungsortes in Form von rot umrandeten Leinentüchern mitgebracht. Versetzt übereinander gelegt haben sie fast etwas Sakrales, was durch einen Wandbehang, der auf den Aufriss Bezug nimmt, noch verstärkt wird. Kleine architektonische Versatzstücke und Modelle vervollständigen das Bild.
Wie eine Zeichnung im Raum wirkt dagegen die Arbeit "Kategorischer Imperativ" von André Wischnewski (*1983) aus Mannheim. Sie entpuppt sich als verwinkeltes Konstrukt mit schubladenartigen Elementen und spielt laut Begleittext weniger auf Kants Moraltheorie als auf die festgefahrenen Kategorien an, in denen Menschen normalerweise denken. Wischnewski wurde zur diesjährigen Ausgabe der Regionale "Deltabeben" in die Kunsthalle Mannheim eingeladen - wie seine Kollegin Valentina Jaffé (*1990). Im Kunstverein kombiniert die Mannheimerin bemalte Stoffbahnen mit malerisch bearbeiteten Fotografien und einer kleinen Keramik, die alle um das Verhältnis von Material und Ausdruck kreisen und zu einer schlüssigen Komposition zusammenfinden.
Auf der Empore erobert dann die Heidelberger Künstlerin Rosa Violetta Grötsch (*1989) mit einer ortsbezogenen Installation Steg und Plattform und weist mit stimmigen Setzungen den Weg. Dabei bringt sie einen orangefarbenen Abspanngurt, Keramiken, Fundstücke und Alltagsrelikte zum Einsatz und schafft - oft im kleinen Format - unorthodoxe Synthesen zwischen natürlich und künstlich gewachsenen Strukturen. Genauer hinsehen sollte man auch bei der "Modekollektion" von Katharina Andes (*1987), die als Bühnen- und Kostümbildnerin für das Heidelberger Theater tätig ist. Sie interessiert sich insbesondere für den Grenzbereich zwischen Körper und Kleid und stellt dabei Fragen zu Themen wie Identität und Verletzbarkeit. Ihre zuvor im Umfeld der Pariser Fashion Week gezeigten Stücke sind allerdings kaum "tragbar", sondern eher architektonisch oder skulptural ausformuliert. Ganz in der Nähe finden sich die textilen Arbeiten von Felicitas Kunisch (*1998) aus Karlsruhe. Ihre großformatigen, frei im Raum platzierten Objekte, die sie aus einem Papier- und Stoffbrei fertigt, besitzen eine spannende Haptik, während ihre gewebten Wand-Gebilde an versehrte, imaginäre Landkarten erinnern.
Schließlich halten auch die Arbeiten von Maximilian Bauer, Eva Gentner, Diana Frasek, Annerose Müller, Nicolas Reinhart und Jochen Steinmetz viele sehenswerte Aspekte bereit.
"Wir sind hier" ist eine in jeder Hinsicht schlüssige Schau, die - wie Ursula Schöndeling hofft - vielleicht noch über den Lockdown hinaus verlängert und so real erlebt werden kann.
Wir sind hier. Heidelberger Kunstverein. Bis Februar 2021. Virtueller Rundgang unter: https://360.studiokepler.com/wir/ - Informationen zu den Künstlerinnen und Künstlern unter: https://hdkv.de/leseraum/ - Führungen via Zoom unter: https://hdkv.de/veranstaltungen/ - Aktuelle Infos zur Laufzeit der Ausstellung unter: https://hdkv.de/ausstellungen/
Am 23. Januar 2021 stark gekürzt unter dem Titel "Bekenntnis zur Kreativität" im Feuilleton der Rhein-Neckar-Zeitung erschienen